Initiativen des Börsenvereins und der Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins

Eine Übersicht der Projekt-Webseiten des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und der Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

Aktuelles

"Wir müssen die richtigen Geschichten erzählen": Karin Schmidt-Friderichs zur Jahrestagung der IG BellSa

Das Grußwort von Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins, zur Jahrestagung der IG Belletristik und Sachbuch im Literaturhaus München.
Erstellt am 23.01.2020


Grußwort von Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zur Jahrestagung Interessengruppe Belletristik und Sachbuch

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Buchbegeisterte
liebe Leseglück-Möglich-Macher*innen,

Zum Jahreswechsel habe ich mich gefragt,
was wäre,
wenn wir alle immer nur Jahresverträge hätten.
Wenn also das neue Jahr
ein wirklich neues Jahr wäre.
Die Karten neu gemischt würden…

Wenn wir alle uns zum Jahresende fragen müssten
und fragen würden,
ob wir uns auf die Stelle,
die wir gerade innehaben
wieder bewerben wollen.
Auf diese Stelle.
In diesem Unternehmen.
In dieser Branche.

Wir würden uns dann natürlich auch fragen müssen,
ob wir die aktuell nötigen Kompetenzen mitbringen.
Für diese Stelle.
In diesem Unternehmen.
In dieser Branche im Wandel.

Ob es diese Stelle
– würden die Karten neu gemischt –
so überhaut noch gäbe?

Wir würden uns fragen,
ob wir in volatilen, unsicheren und komplexen Zeiten,
in denen es oft keine eindeutigen Antworten mehr gibt
– und schon gar keine eindeutig richtigen
richtig führen.

Ob wir die richtigen Maßnahmen ergreifen,
um die richtigen Talente zu finden,
zu binden,
zu fordern
und zu fördern.

Ob wir genügend Transparenz walten lassen,
um High Potentials
ihr volles Potenzial entfalten zu lassen.

Ob wir Mut und Vertrauen
an die Stelle von Macht und Kontrolle setzen.

Ob wir auf veränderte Marktstrukturen
mit veränderten Markstrategien antworten.
Und verändertem Konsumentenverhalten
mit veränderter Ansprache begegnen.

Ob wir in einem veränderten medialen Umfeld in der Lage sind,
Buchbegeisterung zu triggern
und Leselust zu fördern.

Ob wir wirklich alles dafür tun,
Leser*innen Orientierung zu geben
und ihnen mit leidenschaftlich kuratierten Programmen und Sortimenten
den sicheren Weg zum nächsten Lesevergnügen zu ebenen.

Wir würden aber nicht nur Dinge gefragt,
die die eigene Position betreffen
und das eigene Unternehmen.

Wir würden auch darlegen müssen,
wie wir zu Ellenbogen-Mentalität und Konfrontation stehen -
und wie zum Konzept brückenbauender Kooperation.

Ob wir an die alte Dualität von Siegen und Verlieren glauben
oder eventuell
einem kultivierten Miteinander im Sinne von
„Leben und Leben lassen“
das Wort reden.

Wir würden uns dazu äußern müssen,
ob wir Vielfalt
für diese ganz besondere Branche überlebensnotwendig finden
oder ob wir Komplexitäts-reduzierende Einfachheit
für das Gebot der Stunde halten.

Wir müssten uns vielleicht sogar positionieren
zu einem der dichtesten und besten Buchhandelsnetze der Welt,
der weltbesten Branchenlogistik
und deren Wert für die Zukunft der Branche.

All diese Fragen
würden uns mit schöner jährlich wiederkehrender Regelmäßigkeit
auf einer Meta-Ebene
über unser Tagesgeschehen nachdenken lassen.

Und die vielen Entscheidungen,
die wir im daily business für „alternativlos“ halten,
würden wir als Wahlfreiheit erkennen
und als Gestaltungsspielraum anerkennen.

Wir würden uns in Bezug auf die
zur Wahl stehenden Alternativen
positionieren müssen.

Und ganz vielleicht
müssten wir uns sogar die Frage gefallen lassen,
ob wir mit unserem täglichen Verhalten
infrage stellen wollen,
dass der Gesetzgeber uns
für so kulturrelevant und kultiviert hält,
dass er uns unter den Schutz
der gesetzlich verankerten Preisbindung stellt.
und unser kulturelles Engagement
mit dem verminderten Mehrwertsteuersatz
auszeichnet.

Ich gehe davon aus,
dass – gäbe es all diese Job-Interviews -
Sie alle dann dennoch hier wären.

Weil Sie all die gestellten Fragen
eindeutig und klar beantwortet hätten.

Im Sinne von Buchkultur und Zukunfts-Zugewandtheit.

Sie wären also hier -
Ich dagegen muss mich in dieser neuen Rolle ja erst noch beweisen.

Nun hätten wir also alle unsere Jobs - noch oder wieder,
aber diejenigen,
auf deren Leistung wir unsere Erfolge bauen
- unsere Mitarbeiter*innen-
stünden ja ebenfalls vor der Frage,
ob sie sich wieder bewerben:
auf diese Stelle
in diesem Unternehmen
in dieser Branche.

Wir hätten also schon das ganze Jahr über
intensiv darüber nachdenken müssen,
ob wir die richtigen Geschichten erzählen
über unsere Arbeit
und unsere Leistung,
über unsere Unternehmen
und unsere Branche.

Wir würden Konzepte entwickeln,
die jungen Menschen,
deren wichtigste Werte die Sinnhaftigkeit der Arbeit
und die Vereinbarkeit von Familie und beruflicher Erfüllung sind
die richtigen Konzepte von Arbeit anbieten.

Ob wir sie fair entlohnen,
ob wir Lohnstrukturen transparent machen und gendergerecht zahlen.

Wir würden uns
das ganze Jahr über vergegenwärtigen,
dass die Konkurrenz in einem Markt der Talente
vielleicht gar nicht der oder die direkte Mitbewerber*in im selben Marktsegment ist,
sondern neue Content-Konzepte,
die vollkommen jenseits unserer direkten Konkurrenzbeobachtung gedeihen.

Wir würden uns fragen,
ob wir mit deren Start-up-Kultur mithalten können,
mit ihren agilen Prozessen,
ihrer Dynamik.

Wir würden uns fragen,
ob wir dialogisch führen oder hierarchisch
und ob wir Eigenverantwortung und Involvement belohnen.

Ob wir etwas anbieten,
mit dem sich junge Talente identifizieren können.
Wofür sie brennen.

Der Jahreswechsel
wäre dann nicht mehr nur die Zeit der Inventur der Waren,
sondern vielmehr eine Zeit
der Inventur des Wissens, des Wesens und der Werte.

Wir würden die Zeit zwischen den Jahren
dann vielleicht dafür nutzen,
um zu überlegen,
wie wir jungen Buchbegeisterten Mut machen,
eine der vielen
durch die Altersstruktur ihrer Inhaber*innen
demnächst auf den Markt kommenden
Buchhandlungen zu übernehmen.

Oder einen Verlag.
Auch da soll es ja Inhaber*innen geben,
die nicht ewig leben.
Oder zumindest nicht ewig arbeiten wollen.

Wir würden sie vielleicht dabei unterstützen;
in den Spuren der Alten neue Wege zu finden.

Wir würden darüber nachdenken,
ob es jenseits von Übernahmen neue Konzepte geben könnte.
Ein Revival der Genossenschaft
oder ein Ausbau von Business-Angel-Konzepten.
Gleitende Nachfolgen
statt abrupter Unternehmensverkäufe.

Vielleicht sogar unter Einbeziehung der Stammkundschaft,
die ihre Buchhandlung als „dritten Ort“
der Inspiration und Begegnung nicht verlieren will.

Oder unter Einbeziehung der Autor*innen,
die wir Verlage so von unsere Leistung überzeugt hätten,
dass sie uns nicht mehr als „Verwerter*innen“ sähen,
sondern als Coaches.
Auf dem Weg zu Büchern,
auf denen zwar Verlagsmarken stehen,
nie aber die Namen
der Hebammen und Geburtshelfer*innen,
die wir schnöde Lektorat nennen.

Wir würden dann vielleicht
sparten- und unternehmensgrößenübergreifend
Konzepte zur Zukunftsfähigkeit dieser Branche entwickeln
und miteinander umsetzen.

Weil uns mitten in all der Unsicherheit und Ambiguität klar würde,
dass es gar nicht so sehr um uns geht,
wie wir das immer denken,
sondern um das Glück der Leser*innen,
in deren Dienst wir eigentlich stehen.

Dann wären wir vielleicht sogar
für einen Moment stolz drauf,
einen spartenübergreifenden Verband geschaffen zu haben
vor 195 Jahren,
der so etwas wie die Verkehrsordnung hervorgebracht hat.

Und etwa den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.

Der den Deutschen Buchpreis auslobt
und damit ein hohes Maß an Aufmerksamkeit auf ein Buch lenkt.
Aber auch auf das Buch und das Lesen an sich.

Der nun den Deutschen Sachbuchpreis daneben stellt
und damit Fake News und Cambridge Analytica die Stirn bietet.
Weil Bücher in Zeiten von Hate Speech und Manipulation
dank kompetenten Lektorates solide Information anbieten -
zumindest die der meisten Verlage.

Wir würden dann vielleicht sogar
unser Branchen- Grundgesetz
mal wieder zur Hand nehmen:
die Verkehrsordnung.

Den leichten Staubfilm,
der sich darauf gelegt hat wegpusten,
sie lesen – und gute Vorsätze fassen…

All das
können wir auch ohne das Gedanken-Experiment tun,
das meinen Ausführungen zugrunde liegt.

Wir zusammen sind diese Branche.
Was wir sagen und was wir tun
macht diese Branche zu dem, was sie ist.
mit unserem täglichen Verhalten
entscheiden wir darüber, wie die Zukunft in dieser Branche aussieht.

Und wenn wir manchmal
für kurze Momente das Gefühl haben,
eine Entscheidung sei „alternativlos“,
dann möchte ich diesem Euphemismus
die Worte einer Installation
der Künstlerin Jenny Holzer entgegensetzen:

“Remember, you always have freedom of choice!”

In diesem Sinne wünsche ich uns Mut
und ein kultiviertes neues Jahr,
in dem wir Buchbegeisterung leben
und die Freude an der Vielfalt.

Danke!

 


19.04.2024

KI, E-Rechnung, Wirtschaftlichkeit: Fachausschüsse des Börsenvereins tagten in Frankfurt

Börsenverein stellt Ergebnisse der Fachausschuss-Sitzungen vom 17. April 2024 vor.

18.04.2024

Welttag des Buches 2024: Über 1,1 Millionen Schulkinder in ganz Deutschland erhalten Buchgeschenk

Teilnahmerekord: Mit rund 50.600 Klassen nehmen so viele Schülerinnen und Schüler an der 28. Ausgabe von „Ich schenk dir eine Geschichte“ zum diesjährigen Welttag des Buches teil wie noch nie.

17.04.2024

Woche der Meinungsfreiheit 2024: Vielfältiges Programm für Demokratie, Debatte und Frieden

Breites Bündnis aus über 70 Partnern / Programm mit über 60 Veranstaltungen, Diskussionen und Aktionen: www.woche-der-meinungsfreiheit.de/programm / Bundesweite Unterstützung von Verlagen, Buchhandlungen, Bibliotheken und Pressevertrieb