Bushra al-Maktari
Was hast Du hinter Dir gelassen? Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl
ECON 2020 (erscheint am 27.03.2020). 280 Seiten. € (D) 24,99/ € (A) 25,70.
Manchmal wünscht er sich eine Naturgewalt herbei, die die Raketen aufhält, ein Erdbeben oder einen Wirbelsturm. Doch Ahmed Abdulhamid Seif weiß, dass nichts und niemand die Raketen aufhalten kann. Bei einem Angriff hat er seinen Bruder, seine Schwägerin und seine Nichten und Neffen verloren. Wieder und wieder sieht er den Angriff vor seinem inneren Auge. Er ist eines der unzähligen Opfer, denen die mutige Autorin Bushra al-Maktari eine Stimme gegeben hat: »Für mich ist das Schreiben eine Form des Widerstands, Widerstand gegen Mörder und Kriegsverbrecher, Widerstand gegen meine eigene Resignation. Ich schreibe, weil die Opfer nicht in Vergessenheit geraten dürfen.«
2015 beschloss die Autorin und Journalistin Bushra al-Maktari, das Leid der Menschen im Jemen-Krieg zu dokumentieren. Von da an reiste sie , inspiriert von der russischen Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, heimlich durch das Land und sprach unter Lebensgefahr mit ihren Landsleuten. Oft reiste sie inkognito, vollständig verschleiert, um die Kontrollposten der vielen Kriegsparteien unbehelligt passieren zu können. Mutig sammelte sie über 400 Zeugnisse, von denen sie eine Auswahl in „Was hast du hinter dir gelassen?“ niedergeschrieben hat. Verfasst hat sie das Buch bei Kerzenlicht, weil es in Sanaa kaum mehr Strom gibt. Ihr Mann brachte den Laptop einmal am Tag zur nahegelegenen Apotheke, um ihn dort aufzuladen. Nachts tippte sie ihre Notizen ab.
Sie verleiht den Opfern dieses vergessenen Kriegs Namen, Gesichter, Stimmen. Diese fehlen oft in der sporadischen Berichterstattung über den Jemen-Krieg. Für ausländische JournalistInnen ist das Land schwer bis gar nicht mehr zugänglich, die lokalen Medien stehen alle irgendeiner Kriegspartei nahe, und so gut wie kein Flüchtling schafft es nach Europa, um zu berichten. Der Konflikt im Jemen ist inzwischen zu einem Stellvertreterkrieg geworden, in dem viele Interessen und Parteien verwickelt sind – auch internationale.
Im Jemen ist das Buch, das 2018 in Beirut erschienen ist, nicht erhältlich. Zum einen, weil es keine Buchläden, keine Infrastruktur mehr gibt und sich ohnehin niemand Bücher leisten kann, zum anderen, weil es alle Kriegsparteien gleichermaßen verurteilt. Knapp über vierzig Einzelschicksale hat Bushra al-Maktari in diesem Buch versammelt. Ihr geht es nicht darum, Partei zu ergreifen, sondern ihr Anliegen ist es, die Menschen zu Wort kommen zu lassen. In einem so komplexen, polarisierten Konflikt ist das gefährlich. Als sie zur Premiere ihres Buches nach Beirut reisen wollte, wurde sie aufgrund der bereits erschienen Rezensionen bei ihrer Abreise zuerst von der Flughafensicherheit in Aden verhört, dann über drei Stunden von der politischen Staatssicherheit.
„Was hast Du hinter Dir gelassen“ versammelt einzigartige Zeugnisse aus einem isolierten Land und einem von der Welt vergessenen Krieg, die neben dem Schrecken auch erahnen lassen, was der Jemen auch einmal war.
Nina Sillem, Agentur Nina Sillem
Die arabische Ausgabe erschien im Beiruter Verlag Riad El-Rayyes im Juli 2018. Die deutsche Ausgabe erscheint am 27. März 2020 im Ullstein Verlag, Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl.
Bushra al-Maktari (geb. 1979) ist Schriftstellerin und Journalistin und lebt in Sanaa. Im Arabischen Frühling 2011 führte al-Maqtari im Jemen Proteste gegen den Autokraten Ali Abdallah Saleh an.
2003 erschien ihre Prosasammlung (Dar Ubadi) und 2012 ihr Roman (Al-Markez al-Thaqafi al-Arabi, Beirut). Ihre Schriften wurden in verschiedenen arabischen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Im Jahr 2013 erhielt sie den Françoise Giroud Award for Defence of Freedom and Liberties in Paris und den Leaders for Democracy Prize des Project on Middle East Democracy in Washington.
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