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In Deutschland erhältlich, im Heimatland der Autor*innen verboten
Mitglieder der Interessengruppe Meinungsfreiheit im Börsenverein des Deutschen Buchhandels stellen in dieser Reihe Bücher vor, die in Deutschland erhältlich, aber im Heimatland der Autor*innen verboten sind.
Mahmud Doulatabadi
Der Colonel. Aus dem Persischen übersetzt von Bahman Nirumand
Unionsverlag 2010. 223 Seiten. € (D) 12,95/ € (A) 13,40.
Mahmud Doulatabadi ist einer der großen iranischen Autoren der Gegenwart. Er lebt in Teheran und unterrichtet Literatur an der dortigen Universität. Seine Bücher werden im Iran veröffentlicht. Nur eines nicht: Der Colonel. Die iranische Zensurbehörde hat es bis heute nicht zur Veröffentlichung freigegeben. Der Schweizer Unionsverlag, der das Werk von Doulatabadi in deutscher Übersetzung seit Jahrzehnten pflegt, hat den Roman 2009 erstveröffentlicht.
Der Colonel erzählt die Geschichte der Familie eines Offiziers der Schah-Armee, die zwischen die Fronten der iranischen Revolution von 1979 gerät und in den Richtungskämpfen der folgenden Jahre zerrissen werden. Jedes Kind des Colonels wählt einen eigenen Weg. Der älteste Sohn schließt sich der moskautreuen Tudeh-Partei an, die zweigeborene Tochter den Volksmodjahedin, der jüngste Sohn ist Khomeini-Anhänger. Die Kinder wie auch der Colonel, der als Soldat, Patriot und auch als Vater scheitert, repräsentieren die verschiedenen politischen Strömungen des Landes. Doulatabadi führt sie allesamt durch eine pechschwarze Nacht, die keiner überlebt. In seinem sehr instruktiven Nachwort schreibt Bahman Nirumand: „Es gibt in der iranischen Gegenwartsliteratur kein Werk, in dem der Autor mit der Geschichte des Landes so rigoros, so offen und unbarmherzig umgeht.“ Doulatabadi hat mehr als fünfundzwanzig Jahre an diesem Roman gearbeitet. Seine Radikalität ist erschütternd und hallt lange nach.
Michael Lemling, Buchhandlung Lehmkuhl
Ahmet Altan
Ich werde die Welt nie wiedersehen. Aus dem Türkischen übersetzt von Ute Birgi-Knellessen
S. FISCHER 2018. 176 Seiten. € (D) 12/ € (A) 12,40.
Zitat Altan: „Ihr könnt mich einsperren, wo immer ihr wollt. Auf den Flügeln meiner unendlichen Vorstellungskraft werde ich die ganze Welt bereisen. Ich schreibe diese Zeilen in einer Gefängniszelle. Aber ich bin nicht gefangen. Ich bin Schriftsteller. Tisch und Stuhl aus Plastik sind zum Schreiben da, meine Märsche durch den Innenhof sind für meine Träume reserviert.“
Ahmet Altan schreibt 2018 im Gefängnis sein Buch Ich werde die Welt nie wiedersehen - Texte aus dem Gefängnis.
Dieser Gefangene ist einer der erfolgreichsten Romanautoren und Essayisten, einer der wichtigsten und mutigsten Journalisten der Türkei. Es gab einen offenen Brief bekannter Autoren (auch Nobelpreisträger darunter), Künstler und Verleger, als er 2016 mit seinem Bruder Mehmet in Untersuchungshaft kam. Diese Verhaftung beschreibt er in seinem Buch so klar, und er ist außergewöhnlich gelassen, denn er hat als Kind fast dieselbe Situation bei der Abholung seines streitbaren Vaters erlebt. Er bietet den Staatsdienern Tee an, bevor er in Handschellen abgeführt wird.
Am 16. Februar 2018 kam der deutsche Journalist Deniz Yücel frei - und Ahmet Altan wurde am selben Tag zu LEBENSLÄNGLICH MIT ERSCHWERTEN HAFTBEDIGUNGEN verurteilt.
Altan schrie einmal auf einer Kundgebung: „Bravo, sperrt alle ein! Das ist eure Zeit. Aber Zeiten ändern sich, Zeiten ändern sich immer!“
Auch sein Freund Philippe Sands macht ihm in einem langen Brief Mut: „Es wird lang sein, der Kampf um die Gerechtigkeit, um Rechte und Meinungsfreiheit. Es ist nicht leicht, sich den Moment vorzustellen, in dem diese Worte den Sieg davontragen.“
Seine Bildung, Literaturkenntnis und seine starke Botschaft aus dem Gefängnis sprechen mit uns, zeigen uns, dass Literatur und Freiheit eng miteinander zu tun haben. Die Bücher, an die er sich erinnert, helfen ihm dabei, die nächtlichen Gespenster in seinem Kopf loszuwerden. Die Sehnsucht eines Eingesperrten nach seinen Liebsten können wir kaum ermessen.
Die Kraft und Sprache dieses intellektuellen Kopfes ringt uns größte Bewunderung ab.
Nun möchte ich Orhan Pamuk zitieren. Er schrieb schon im September 2016: „Ich bin voller Wut! Über die Festnahme von Ahmet Altan und dessen Bruder Mehmet. In der Türkei werden nach und nach alle, die die Regierung kritisieren, eingesperrt …. Gedankenfreiheit existiert nicht mehr, wir bewegen uns in der Türkei mit großer Geschwindigkeit von einem Rechtsstaat zu einem Terrorregime.“
Ein Richter sagte wohl mal zu Ahmet Altan: „Hätten sie doch einfach nur Romane geschrieben und sich nicht mit politischen Themen befasst.“
„Die Rechtlosigkeit wird gar nicht versteckt“, sagt Altan. „Sie haben mich auch ins Gefängnis gesteckt, weil sie mich für gefährlich halten. Es geht darum, der ganzen Gesellschaft große Angst und Schrecken einzujagen.“
Margarete Riethmüller, RavensBuch
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Bandi
Denunziation. Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee
PIPER 2017. 224 Seiten. € (D) 20/ € (A) 20,60.
LEUCHTEN IN EINER WELT DES MISSTRAUENS, DER UNTERDRÜCKUNG UND ÜBERWACHUNG
Glühwürmchen heißt koreanisch übersetzt BANDI. Kleine Irrlichter, die ein wenig Licht ins Dunkel bringen und zugleich eine Verheißung auf hellere und bessere Tage sind.
Im isolierten, abgeschotteten Nordkorea schreibt ein anonymer Autor unter diesem klug gewählten Pseudonym regimekritisch über den Alltag in der Diktatur seines Landes und riskiert damit sein Leben. Man geht davon aus, dass er 1950 geboren wurde und durch die Hungersnot der 90 er Jahre viele Angehörige verloren hat. In sieben Erzählungen sammelte er Geschichten von Mitmenschen. Sie sind zwischen 1989 und 1995 angesiedelt, also vor und kurz nach dem Tod von Staatsgründer Kim Il Sung. Geändert hat sich bis heute nicht viel. In ihnen gewährt er uns authentische Einblicke in das Innenleben seines Landes, beleuchtet verschiedene Schicksale, die symptomatisch sind und vermittelt uns damit einen Eindruck über die Tyrannei der Diktatur, der die einfachen Menschen oft tagtäglich ausgesetzt sind.
Wenn Nordkorea in die Schlagzeilen der internationalen Presse gerät, hat das zumeist mit Atomwaffen- und Raketenprogrammen des Landes zu tun. Das Gesicht von Kim Jong Un steht dabei für rund 25 Millionen Menschen, von denen wir so gut wie nichts wissen und die in einem von der Außenwelt abgeschnittenen Staat leben.
Ein Mittelsmann schmuggelte das 750 Seiten starke, handgeschriebene Manuskript außer Landes nach Südkorea und damit in die freie Welt. Sein Titel: DENUNZIATION. Eine Anklage. Aus Sicht des Regimes: Landesverrat.
Es ist nicht die Einschätzung eines Geflüchteten, sondern laut Piper „die erste unzensierte Stimme“ eines Menschen, der noch dort lebt. Bedrückend, düster und zuweilen ironisch sind die Geschichten aus diesem abgeschotteten Land. Einfach und zurückhaltend wirkt ihr Ton. Nicht literarisch oder stilistisch ausgeklügelt, sondern vielmehr inhaltlich stark.
Der Übersetzer Lee Ki-Hyang, der für die deutsche Übersetzung verantwortlich ist, hält „Denunziation“ für originär nordkoreanisch, denn Bandis Sprachbilder und seine Redewendungen klingen für einen Südkoreaner fremd.
In den Erzählungen „Die Stadt der Gespenster“, „Irya Madya, Schatzpferd!“, „Die Flucht“, „So nah und doch so fern“, „Pandämonium“, „Die Bühne“ sowie „Der rote Pilz“ begibt man sich in eine fremde und gleichermaßen erschreckende Welt.
Sie berichten von der ständigen Angst, von Misstrauen sowie von der totalen Kontrolle und dem extremen Führer-Kult. Inmitten dieser Kälte blitzen immer wieder Augenblicke der Wärme auf.
Die Rede ist von einem alten Mann, der als Kriegsheld und Arbeiter seinem Land ein Leben lang gedient hat. Am Ende fällt er aus Enttäuschung die Ulme vor seinem Haus – ein Symbol für seinen Glauben an eine bessere Zukunft im Kommunismus. Oder sie beschreiben die Deportation einer Beamtenfamilie. Der Grund dafür liegt in der Angst des kleinen Sohnes vor einer riesigen Stalinstatue. Eine andere Geschichte ist die, in der ein Schauspieler feststellt, dass die Leute mit der Härte des Lebens viel zu beschäftigt sind, als dass sie ihrem Schmerz Beachtung schenken könnten. In dieser Welt, sagt er, werden „ganz normale Menschen zu Schauspielern“. Wenn die Identität Bandis aufgedeckt werden würde, müsste er sich des Delikts des Vaterlandverrats verantworten. Harte Strafen für ihn und seine Familie wären ihm sicher.
Brigitte Giesler, Buchhandlung Lehmkuhl
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Bushra al-Maktari
Was hast Du hinter Dir gelassen? Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl
ECON 2020 (erscheint am 27.03.2020). 280 Seiten. € (D) 24,99/ € (A) 25,70.
Manchmal wünscht er sich eine Naturgewalt herbei, die die Raketen aufhält, ein Erdbeben oder einen Wirbelsturm. Doch Ahmed Abdulhamid Seif weiß, dass nichts und niemand die Raketen aufhalten kann. Bei einem Angriff hat er seinen Bruder, seine Schwägerin und seine Nichten und Neffen verloren. Wieder und wieder sieht er den Angriff vor seinem inneren Auge. Er ist eines der unzähligen Opfer, denen die mutige Autorin Bushra al-Maktari eine Stimme gegeben hat: »Für mich ist das Schreiben eine Form des Widerstands, Widerstand gegen Mörder und Kriegsverbrecher, Widerstand gegen meine eigene Resignation. Ich schreibe, weil die Opfer nicht in Vergessenheit geraten dürfen.«
2015 beschloss die Autorin und Journalistin Bushra al-Maktari, das Leid der Menschen im Jemen-Krieg zu dokumentieren. Von da an reiste sie , inspiriert von der russischen Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, heimlich durch das Land und sprach unter Lebensgefahr mit ihren Landsleuten. Oft reiste sie inkognito, vollständig verschleiert, um die Kontrollposten der vielen Kriegsparteien unbehelligt passieren zu können. Mutig sammelte sie über 400 Zeugnisse, von denen sie eine Auswahl in „Was hast du hinter dir gelassen?“ niedergeschrieben hat. Verfasst hat sie das Buch bei Kerzenlicht, weil es in Sanaa kaum mehr Strom gibt. Ihr Mann brachte den Laptop einmal am Tag zur nahegelegenen Apotheke, um ihn dort aufzuladen. Nachts tippte sie ihre Notizen ab.
Sie verleiht den Opfern dieses vergessenen Kriegs Namen, Gesichter, Stimmen. Diese fehlen oft in der sporadischen Berichterstattung über den Jemen-Krieg. Für ausländische JournalistInnen ist das Land schwer bis gar nicht mehr zugänglich, die lokalen Medien stehen alle irgendeiner Kriegspartei nahe, und so gut wie kein Flüchtling schafft es nach Europa, um zu berichten. Der Konflikt im Jemen ist inzwischen zu einem Stellvertreterkrieg geworden, in dem viele Interessen und Parteien verwickelt sind – auch internationale.
Im Jemen ist das Buch, das 2018 in Beirut erschienen ist, nicht erhältlich. Zum einen, weil es keine Buchläden, keine Infrastruktur mehr gibt und sich ohnehin niemand Bücher leisten kann, zum anderen, weil es alle Kriegsparteien gleichermaßen verurteilt. Knapp über vierzig Einzelschicksale hat Bushra al-Maktari in diesem Buch versammelt. Ihr geht es nicht darum, Partei zu ergreifen, sondern ihr Anliegen ist es, die Menschen zu Wort kommen zu lassen. In einem so komplexen, polarisierten Konflikt ist das gefährlich. Als sie zur Premiere ihres Buches nach Beirut reisen wollte, wurde sie aufgrund der bereits erschienen Rezensionen bei ihrer Abreise zuerst von der Flughafensicherheit in Aden verhört, dann über drei Stunden von der politischen Staatssicherheit.
„Was hast Du hinter Dir gelassen“ versammelt einzigartige Zeugnisse aus einem isolierten Land und einem von der Welt vergessenen Krieg, die neben dem Schrecken auch erahnen lassen, was der Jemen auch einmal war.
Nina Sillem, Agentur Nina Sillem
Die arabische Ausgabe erschien im Beiruter Verlag Riad El-Rayyes im Juli 2018. Die deutsche Ausgabe erscheint am 27. März 2020 im Ullstein Verlag, Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl.
Bushra al-Maktari (geb. 1979) ist Schriftstellerin und Journalistin und lebt in Sanaa. Im Arabischen Frühling 2011 führte al-Maqtari im Jemen Proteste gegen den Autokraten Ali Abdallah Saleh an.
2003 erschien ihre Prosasammlung (Dar Ubadi) und 2012 ihr Roman (Al-Markez al-Thaqafi al-Arabi, Beirut). Ihre Schriften wurden in verschiedenen arabischen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Im Jahr 2013 erhielt sie den Françoise Giroud Award for Defence of Freedom and Liberties in Paris und den Leaders for Democracy Prize des Project on Middle East Democracy in Washington.
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