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Karl Schlögel mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2025 ausgezeichnet

Verleihung in der Paulskirche in Frankfurt / Laudatio hielt ukrainisch-deutsche Schriftstellerin Katja Petrowskaja
Erstellt am 19.10.2025


Dem deutschen Historiker und Essayisten Karl Schlögel wurde heute in der Frankfurter Paulskirche der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. Unter den rund 700 geladenen Gästen waren unter anderem auch Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, Bischof Dr. Georg Bätzing sowie Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour. Die Laudatio hielt die ukrainisch-deutsche Schriftstellerin, Literaturwissenschaftlerin und Journalistin Katja Petrowskaja.

Die Dankesrede Schlögels steht unter dem Titel „Von der Ukraine lernen. Verhaltenslehren des Widerstands.“ Zunächst einmal wirft er einen Blick zurück und sagt: „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Russland noch einmal zurückfallen würde in Zeiten, die in Vielem den Praktiken des Stalinismus gleichen, (…) ich konnte mir nicht ein Amerika (…) vorstellen, in dem sich einmal Angst vor einem autoritären Regime würde ausbreiten können. Ganz fremd war mir der Gedanke, dass auch in der Bundesrepublik etwas ins Rutschen kommen könnte. Vor allem aber: dass der Krieg (…) etwas Reales in der nächsten Nachbarschaft werden könnte.“

Er stellt fest, dass es in Deutschland erstaunlich lange gedauert habe, zu begreifen, womit man es mit Putins Russland zu tun hat. Besonders geht er auf die Führung Russlands durch Präsident Putin ein: „Er hat den Tisch, an dem Verhandlungen und Gespräche nach bestimmten Spielregeln stattfinden sollten, einfach umgestoßen und mit Bravour die Regelverletzung zum System erklärt, lange bevor der Terminus der Disruption in Umlauf kam. (…) Die Angst ist seine wichtigste Waffe, und in der Bewirtschaftung der Angst besteht sein wahres Talent.“

Schlögel spricht darüber, wie Putins Propaganda wirkt: „Der Krieg, den Russland nach Europa zurückgebracht hat, wird nicht nur mit militärischen Mitteln geführt, sondern als Krieg um die Köpfe, mit Stimmungen, mit Ängsten, mit Ressentiments, mit Nostalgien oder als verlockendes Angebot, zu ‘business as usual’ zurückzukehren.“ Die Ukrainer, so sagt er, „wissen, dass ein zu allem entschlossener Aggressor sich nicht mit Worten aufhalten lässt. Sie sind Realisten, die sich keine Illusionen leisten können. Weil sie nicht Opfer sein wollen, wehren sie sich.“ Die Bürger*innen der Ukraine würden uns helfen zu verstehen, dass wir es “mit einem Regime zu tun haben, das die Ukraine als unabhängigen Staat vernichten will und das Europa hasst.”

Was können wir von den Ukrainer*innen lernen? „Sie sind der Spiegel, in den wir blicken und der uns daran erinnert, wofür Europa einmal gestanden hat und weshalb es sich lohnt, es zu verteidigen. (…) Sie kennen sich aus mit Verhaltenslehren des Widerstands und bringen den Europäern bei, was auf sie zukommt, wenn sie nicht endlich sich auf den Ernstfall vorbereiten.“ Schlögel schließt mit den Worten: „Uns Europäern bleibt, so unwahrscheinlich es klingen mag: Von der Ukraine lernen, heißt furchtlos und tapfer sein, vielleicht auch siegen lernen.“

Katja Petrowskaja beschreibt in ihrer Laudatio Karl Schlögel als Historiker, der sich seit vierzig Jahren bemühe, „über Staatsgrenzen hinwegzuschauen, festgefahrene Vorurteile aufzulösen, sich dem Unwissen entgegenzustellen“. Das tue er durch Reisen, mit akribischen Archivarbeiten und durch direkte Begegnungen mit Menschen. Sie spricht über Schlögels Erfahrungsbereitschaft, seine „Fähigkeit zu beobachten und die Welt mit allen Poren aufzusaugen.“ Thematisch habe Schlögel sein Leben der Erforschung des mittleren und östlichen Europas gewidmet. Dabei habe er große Bücher verfasst, die „wie Symphonien aufgebaut seien, mit einer sich fortbewegenden sogartigen Intonation.“ Als Mensch sei er für sie und für viele andere Ukrainer*innen „zu einer Stütze, zum Inbegriff von Standhaftigkeit, jenseits der ideologischen Fallen“ geworden.

Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins, bezeichnet Karl Schlögel als jemanden, der sich im Laufe seines Lebens vom Beobachter Osteuropas und Russlands zum „gefragten und ebenso weisen wie leisen Berater von Politiker*innen“ entwickelt habe, weil er die Welt im Osten versteht: „Er ist ein Archäologe, der Raum und Zeit abschichtet. Und jede Scherbe, die er aufhebt, wird durch ihn zu einem funkelnden Kaleidoskop der Geschichte.“

Für den Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef ist Schlögel ein wahrhafter Vertreter unseres historischen Erbes und er begründet dies damit, dass Schlögel eine persönliche Verantwortung übernehme, „für ein realistisches historisches Bild, das die heutige Situation bestmöglich nachvollziehbar macht.“

Seit 1950 vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Preisträger*innen waren unter anderem Albert Schweitzer, Astrid Lindgren, Václav Havel, Jürgen Habermas, Susan Sontag, Navid Kermani, Margaret Atwood, Aleida und Jan Assmann, Serhij Zhadan, Salman Rushdie und im vergangenen Jahr Anne Applebaum. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert.

Ein honorarfreies Pressefoto ist ab heute, ca. 13.30 Uhr, abrufbar unter www.boersenverein.de/pressefotos.

Die Reden von Karl Schlögel und Katja Petrowskaja sowie die beiden Grußworte sind abrufbar unter: www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de.

Das Buch mit allen Reden der Preisverleihung ist ab dem 19. November 2025 im Buchhandel oder beim MVB-Kundenservice unter kundenservice@mvb-online.de erhältlich (ISBN: 978-3-7657-3457-1, 19,90 Euro). 


19.10.2025

Karl Schlögel awarded the 2025 Peace Prize of the German Book Trade

Award ceremony at Frankfurt’s Church of St. Paul / Laudatory speech given by Ukrainian-German author Katja Petrowskaja

19.10.2025

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