Neue Positionen

„Was verbindet Literatur und Ökologie?“

3 Fragen an die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Solvejg Nitzke
Erstellt am 27.05.2025


Solvejg Nitzke ist Vertretungsprofessorin für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Wissensproduktion und Ökologieforschung und umfassen u.a. Katastrophen, Klima, Dorfgeschichten und Literary and Cultural Plant Studies. Auf unserem Jubiläumskongress ist sie Teilnehmerin des Gesprächs „Frühwarnsystem Literatur: Wie Bücher ökologisches Bewusstsein formen und Zukunft spiegeln“ (Donnerstag, 14 Uhr, Stage 2).

1. Sie sind studierte Literaturwissenschaftlerin und beschäftigen sich mit Ökologieforschung. Was verbindet Literatur und Ökologie?

Solvejg Nitzke: Diese Frage lässt sich auf zwei Ebenen beantworten: Auf der Ebene des Inhalts geht es in vielen literarischen Texten nicht allein um Menschen und menschengemachte Umwelten, sondern auch um nichtmenschliche Lebewesen. Wälder, Tiere, Monster und unheimliche Landschaften sind seit jeher Teil erzählter und lyrischer Texte, der Kunst überhaupt, und sie geben Auskunft darüber, wie Menschen Beziehungen zu ihrer Umwelt knüpfen. Selbst dort, wo Tiere, Pflanzen, Berge, Flüsse und mehr-als-menschliche Andere vermeintlich im Hintergrund bleiben, produzieren literarische Texte Beziehungen. Die zweite Ebene ist die, auf der Literatur selbst ökologisch denkbar wird. Wechselbeziehungen zwischen Texten sowie zwischen Texten und der außerliterarischen Welt lassen sich so jenseits von Kategorien wie „Einfluss“ oder „Reflexion“ untersuchen. Stattdessen wird sichtbar, wie sich Texte und Wirklichkeiten gegenseitig formen.

2. Ihr aktuelles Buch hat Bäume als Thema. Worum geht es darin?

Solvejg Nitzke: In „Fremde Verwandtschaft. Eine Kulturpoetik der Bäume“ geht es genau um diese Wechselbeziehungen. Ich untersuche literarische Baumtexte und die Verhältnisse, die sich mit Bäumen erzählen lassen oder wie Bäume Erwartungen unterlaufen und dadurch Annahmen gegenüber der nichtmenschlichen Natur in Frage stellen. Bäume sind nicht nur Projektionsflächen für menschliche Vorstellungen von Größe und Dauer, sie können auch zum integralen Bestandteil von Trauerprozessen werden oder zu Zeugen vergangener Verbrechen. Besonders spannend wird es, wenn Bäume als fiktionale Monster oder Geister die Hierarchie zwischen handlungsfähigen Menschen und in den Hintergrund gedrängten Pflanzen in Frage stellen. Menschen, die sich in Bäume verwandeln oder sich zumindest danach sehnen, bilden einen roten Faden der Arbeit, der von den symbolischen und metaphorischen Verwandlungen bis zu (wenigstens in den Erzählungen) wirklichen Metamorphosen führt. Dieser Durchgang durch literarische und künstlerische Baumverhältnisse erlaubt es mir auch, zu zeigen, welches Wissen über Pflanzen wie Eingang in gesellschaftliche Diskurse und kulturelle Vorstellungen findet und wie umgekehrt, imaginäre Baumbeziehungen auch materielle Umwelten prägen.

3. Welche Bedeutung haben ökologische Themen in der Literaturgeschichte und welche Bedeutung haben sie heute?

Solvejg Nitzke: Wenn man ein weites Verständnis von Ökologie anlegt, dann sind ökologische Themen immer schon zentral für die Literatur. Schon in der Antike spielen Wind und Wetter, der Umgang mit Tieren und Pflanzen, aber auch die Manipulation von Umwelten eine entscheidende Rolle, auch wenn sie nicht immer im Vordergrund stehen. Von heute aus stellen wir uns „ökologisches Bewusstsein“ oft fälschlicherweise als etwas relativ Neues vor, aber unsere heutige Vorstellung von „ökologischer“ Literatur als einer Form, die Umweltzerstörung, Ressourcenausbeutung und Artensterben mitdenkt – also von ökologischen Krisenlagen ausgeht – ist eine von vielen Weisen, die Wechselbeziehungen zwischen Organismen und ihren Umwelten zu thematisieren. Nichtsdestotrotz lässt sich beobachten, dass Phasen intensivierter Transformation, etwa die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, die „Great Acceleration“ nach dem Zweiten Weltkrieg und die gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen im späten 20. Jahrhundert ähnlich intensivierte literarische Auseinandersetzungen bewirken, wie es die Globale Erwärmung und das Massenaussterben in der Gegenwart tun. Was zu erforschen bleibt, ist aber nicht nur die Frage, ob und wie Literatur auf ökologische Veränderungen reagiert, sondern wie sie gelesen wird und, so ja oft die Hoffnung, ob Literatur in der Lage dazu ist, die Einstellung und Handlungsweisen ihrer Leser*innen zu beeinflussen.


27.05.2025

„Was verbindet Literatur und Ökologie?“

3 Fragen an die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Solvejg Nitzke