Einsatz eines KI-Chatbots: Einfach beginnen – aufwendig pflegen
Ein Erfahrungsbericht über das Projekt, einen KI-gesteuerten Chatbot auf der Verlagswebsite des PAL Verlags zu implementieren. | Ein Beitrag von Carlo Günther, PAL Verlag
Erstellt am 25.09.2024
Machen wir uns nichts vor: Die Büchse der KI-Pandora ist längst geöffnet. Und wie ihr Vorbild aus der griechischen Mythologie wird auch sie sich nie mehr schließen lassen. Als Verleger des PAL Verlags glaube ich deshalb auch nicht daran, dass es uns populären Ratgeberverlage gelingt, die sich ankündigende Content-Schwemme, ausgelöst durch KI-generierte Texte und Bilder, zu bremsen, geschweige denn aufhalten zu können. Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Art des Publizierens und wissen nicht, wohin die Reise geht. Das Einzige, was wir wissen, ist, dass uns die KI schon jetzt verändert, nicht nur in einzelnen Arbeitsbereichen, sondern in unserem ganzen Tun und Wirken. Das ist verunsichernd, ja beängstigend. Und gleichzeitig sehe ich Angst als keine gute Ratgeberin für eine erfolgreiche Verlagsarbeit an. Wenn also alles nichts hilft, um die KI-Entwicklung in der Buchbranche zu stoppen, dann müssen wir uns fragen: Wie können wir einen Umgang mit der neuen Technologie finden? Was können wir dazu ganz konkret tun?
Die gute Nachricht: KI kann jede und jeder!
Wir sollten versuchen, so schnell wie möglich künstliche Intelligenz in ihrer aktuellen Funktionsweise und ihrer Entwicklungsstufe zu verstehen, sie anzuwenden und von ihr zu lernen. Die gute Nachricht: KI kann jede und jeder! Durch die Chatbot-Logik von Chat-GPT sind die Verständnis- und Einstiegshürden sehr gering, wir brauchen dazu keine großen Investition und keine langwierigen ausgearbeitete Strategien. Wir können einfach loslegen. Trial and error! Das bedeutet konkret: Schon heute gibt es eine Vielzahl von günstigen KI-Anwendungsprogrammen, zu unterschiedlichsten Themenbereichen, die relativ userfreundlich aufgesetzt sind und ohne große Vorkenntnisse gestartet werden können. Vielleicht gelingt es uns so, die bevorstehende Veränderung mitzugestalten, oder zumindest einen besseren und aktiveren Umgang mit ihr zu finden. Bei PAL gehen wir diesen Weg seit fast zwei Jahren und probieren in unterschiedlichsten Verlagsbereichen KI-Anwendungsprogramme aus.
Die Initialfrage für die Anwendung von KI-Programmen ist für uns dabei immer: Wo und wie kann KI uns helfen, bestehende Probleme in unseren Strukturen und unserer Organisation zu lösen, Defizite zu verbessern und so die Qualität unserer Inhalte, Produkte und Angebote zu steigern. Als sehr kleiner Verlag mit nur zwei festen Mitarbeiter*innen und durch die starke Ausrichtung auf digitales Publizieren –– gibt es gleich mehrere Bereiche, in denen uns KI-Anwendungsprogramme helfen können, beispielsweise bei der Text- und Bildredaktion, bei Presse- und Marketing-Prozessen wie der Erstellung von Abstracts oder SEO-Begriffen oder auch bei der Navigation auf unseren Websites.
Immer wieder testen wir KI-Tools und Anwenderprogramme, um bestimmte Bereiche zu verbessern, in denen wir aufgrund der des fehlenden Know-hows, fehlende Manpower oder fehlender finanzieller Mittel nicht richtig vorankommen. Das ist kostengünstig, aber aufwendig, und doch lohnt es sich für uns, um einen gewissen Einblick und ein Gespür für die KI-Entwicklung und ihren positiven wie negativen Implikationen zu bekommen.
Start – einfach; Betrieb – aufwendig: der KI-Chatbot auf den PAL-Websites
Ein drängendes Problem, das wir mittels KI-Tools zu lösen versuchen, ist der niedrige Anteil an Käufer*innen im Vergleich zu Besucher*innen auf unseren kostenlosen Online-Plattformen. Es ist für uns wichtig, dass die Besucher*innen der über 3.000 Beitragsseiten auch bezahlte Produkte und Angebote in Betracht ziehen, denn als kleiner Ratgeberverlag sind wir im Buchhandel nicht ausreichend sichtbar.
Über drei Millionen Menschen jährlich stöbern zwar gerne auf unseren Websites durch die Beiträge zu psychologischen Themen und lesen auch sehr engagiert unseren kostenlosen redaktionellen Newsletter. Dabei bewerten sie unsere Inhalte auch durchweg positiv. Doch setzt das noch lange keinen adäquaten Kaufimpuls in Gang. Da helfen auch nicht die an vielen Stellen thematisch passend platzierten Produktanzeigen. Was den User*innen für ihre Kaufentscheidung fehlt, ist die persönliche Ansprache, der Platz und das Verständnis für ihr Anliegen, der Rat und die Empfehlung – am Ende zu einem unserer Produkte –, kurzum: die tiefe Kundenbindung.
Mit dem Anwenderprogramm Site-GPT haben wir einen KI-Chatbot gefunden, mit dem wir uns versprechen, die Kundenbindung und das Empfehlungsmarketing zu verstärken. Site-GPT kann ausschließlich auf Grundlage eigener Inhalte, themenrelevante Fragen beantworten. Der Chatbot lässt sich für nicht einmal hundert Euro im Monat in der Standardversion so einrichten, dass seine Antworten persönlich und zugewandt formuliert sind, ein Thema in zwei drei kurzen Absätzen angeschnitten und am Ende auf einen passenden Beitrag und ein passendes Produkt verwiesen wird. Inhaltliche Grundlage für die Antworten sind unsere Web-Beitragsseiten sowie Texte aus PDF-Ratgebern.
2023 haben wir die KI-Anwendung im Team unserer Werksstudentin und mir zunächst in der Grundversion gestartet und dafür die 500 meistgelesenen URLs eingepflegt (kurz drauf hat ein Update es ermöglicht, ohne Mehrkosten alle Website-URLs zu laden). Die ersten neun Monate war der Chatbot auf einer selten aufgerufenen Beitragsseite versteckt und wurde vor allem von uns selbst getestet, seit Mai 2024 ist er in unsere Startseite palverlag.de implementiert und zur kommenden Buchmesse im Oktober werden wir den Chatbot auf alle 3000 Beitragsseiten der vier Websites ausspielen. Der Start lief erfreulich, die Antworten des Chatbots waren aus unserer Sicht von Anfang an zu 60-70 Prozent der Fragestellungen informativ und hilfreich.
Viel Arbeit machte jedoch die Feinabstimmung. Das Prompting für eine feinere Anpassung der Antworten ist keineswegs trivial und viele Details müssen in mühsamen und langwierigen Korrespondenzen mit dem Support des ChatBots geklärt werden, ohne Garantie auf Erfolg. Denn die Kommunikation mit SiteGPT läuft ausschließlich digital, nicht persönlich und oft über einen Chatbot des Unternehmens. Dazu kommen die Updates der zugrundeliegenden KI-Programmversion ChatGPT, die immer wieder zu neuen Fehlern in bereits reibungslos laufende Funktionen führten, wie den Links zu passenden Beiträgen und Produkten am Ende einer Antwort.
Dieses Prüfen und Pflegen verlangt eine sehr sorgfältige und ständige Maintenance-Betreuung. Wir investieren dafür täglich mindestens eine Stunde. Und es verlangt eine durchaus hohe Flexibilität und Toleranz von uns als einen in hundertprozentig fertiggestellten Produkten denkender Verlag, auch Inhalte zu publizieren, die nur zu 80 bis 90 Prozent in Ordnung sind. Die User*innen haben sich im Übrigen an diese Imperfektion längst gewöhnt. Mehr noch: Viele bedanken sich am Ende des Chatverlaufs für die im Vergleich zu anderen Chatbots kompetenten Antworten. Für uns ist es eine Herausforderung.
Schon jetzt viele positive Effekte und viele Learnings
Die Effekte der Chatbot-Implementierung auf unsere Arbeit, auf Produkte und Angebote, aber auch auf unser Verständnis von KI-Technologie und unsere Zielgruppe sind schon jetzt enorm: Wir haben in den letzten Monaten über 5000 Chat-Beiträge erhalten sowie einhergehend einen Anstieg der so wichtigen Verweildauer von User*innen auf unserer Website, dazu einen Anstieg der Aufrufe einzelner Beitragsseiten und vermehrte Buch- und Kalenderkäufe. Damit sind unsere Bedürfnisse in der anfangs genannten Problemstellung erfüllt und es gibt uns große Zuversicht, dass wir ab der Ausspielung des Chatbots auf alle Websites und alle Beiträge eine noch wesentlich höhere Conversion erzeugen können.
Und noch ein spannender und für uns als Verlag entscheidender Effekt zeigt sich: Wir erhalten zum ersten Mal qualitative Fragen von Endkund*innen. Sie helfen uns dabei, unsere Content-, Programm- und Produktplanung stärker auf die Bedürfnisse unserer Zielgruppe auszurichten. Natürlich laufen wir dabei auch Gefahr, zu viel Programmpflege und Maintenance-Aufwand betreiben zu müssen, und so unsere Manpower und Kosten hochzutreiben. Wir werden die Entwicklung engmaschig begleiten und zur Not, um eine große Erfahrung über KI reicher, den Chatbot wieder auf wenige Websites begrenzen oder ganz abstellen.
Wie auch immer diese Entscheidung ausfallen wird – das wird unserer Lust am Arbeiten mit KI keinen Abbruch tun.
Autor: Carlo Günther
