TikTok Shop - Chance für den Buchhandel?
Vor knapp einem halben Jahr startete der Tiktok Shop in Deutschland. Handelsexpertin Marilyn Repp analysiert den Social Selling-Kanal für den Buchhandel - lohnt der Einstieg und wenn ja, wie? | Ein Beitrag von Marilyn Repp
Erstellt am 08.09.2025
TikTok versteht sich nicht als klassisches soziales Netzwerk, sondern als Unterhaltungsplattform – und dieser Unterschied ist entscheidend. Während die ersten Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Instagram vor allem Beziehungsnetzwerke waren, in denen es darum ging, Follower und Freundeskreise aufzubauen, setzt TikTok von Beginn an auf ein anderes Prinzip: Relevanz. Im Zentrum steht nicht, wem ich folge, sondern was mich interessiert. Der Algorithmus entscheidet, welche Inhalte Nutzer:innen im „For You“-Feed sehen, basierend auf ihrem Verhalten und ihren Interessen. Das bedeutet: Auch Accounts mit wenigen Followern können plötzlich Millionenreichweite erzielen, wenn der Content relevant und unterhaltsam ist.
Dieses Prinzip hat die Social-Media-Landschaft insgesamt verändert. Instagram etwa hat in den vergangenen Jahren seinen Algorithmus zunehmend dem TikTok-Modell angepasst, weil klar wurde, dass die klassische Logik „je mehr Follower, desto mehr Reichweite“ nicht mehr ausreicht. Für Buchhandlungen und Verlage ist das eine zentrale Erkenntnis: Auf TikTok ist Sichtbarkeit kein Geschenk für große Marken oder bekannte Accounts, sondern etwas, das durch Kreativität, Storytelling und das Aufgreifen aktueller Trends erarbeitet werden kann. TikTok belohnt Content, der unterhält und Zielgruppen wirklich abholt.
Für den Buchhandel ist das spannend, weil Bücher per se Geschichten transportieren – und damit eine hervorragende Grundlage für Content liefern. Wer es schafft, Bücher in einen unterhaltsamen, relevanten Kontext zu setzen, kann enorme Reichweiten erzielen, unabhängig davon, ob man schon viele Follower hat oder nicht.
TikTok Shop – Funktionsweise und erste Schritte
In UK gibt es den TikTok Shop seit 2021, in den USA seit 2023. Seit Ende März 2025 ist TikTok Shop auch in Deutschland offiziell gestartet und integriert den E-Commerce direkt in die App. Das Prinzip ist einfach: Nutzer:innen sehen ein Produkt in einem Video, können es direkt anklicken und innerhalb derselben App kaufen, ohne auf eine externe Website weitergeleitet zu werden. Der Kaufprozess ist so nahtlos, dass er Teil des Entertainment-Flows bleibt. Genau diese Reibungslosigkeit macht TikTok Shop für Unternehmen attraktiv – die Hürde, etwas zu kaufen, ist extrem niedrig.
Für Händler:innen läuft der Einstieg über das TikTok Seller Center: Dort werden Produkte hochgeladen, Preise hinterlegt und ein eigener Shop angelegt. Die technische Hürde ist gering, TikTok launchte zudem Mitte August 2025 eine eigene Fulfillment-Lösung („Fulfilled by TikTok“), bei der Lagerhaltung und Versand von zentraler Stelle übernommen werden.
Doch die entscheidende Frage ist nicht, wie man Produkte in den Shop bekommt, sondern wie man diese Produkte in den Content integriert. TikTok Shop funktioniert nicht nach klassischen E-Commerce-Logiken, sondern nur mit einer eigenen Strategie: Entertainment First, Product Second. Das bedeutet, dass ein Video in erster Linie unterhalten, eine Geschichte erzählen oder ein Problem der Zielgruppe aufgreifen muss – und erst im zweiten Schritt das Produkt eingebunden wird.
Viele Unternehmen machen den Fehler, den Shop lediglich als weiteren Vertriebskanal zu sehen. Doch TikTok Shop ist kein Marktplatz wie Amazon und kein klassischer Online-Shop wie Shopify, sondern eine Plattform, auf der Content und Verkauf eng miteinander verzahnt sind. Wer hier erfolgreich sein will, braucht nicht nur eine Online-Shop-Strategie oder eine Marktplatz-Strategie, sondern eine dedizierte TikTok-Shop-Strategie.
Es zeigt sich außerdem, dass Live-Shopping nicht das Format der Wahl ist. Die meisten Umsätze werden mit viralen Videos gemacht. In den USA stammen laut einem Bericht 70 % des gesamten Brutto-Warenvolumens (GMV) aus Kurzvideos, während Live-Shopping lediglich 17 % ausmacht.
Erste Marktbeispiele: Chancen und Risiken
Dass diese Unterscheidung essenziell ist, zeigt das Beispiel Thalia. Die Buchhandelskette war einer der ersten großen Player in Deutschland, die den TikTok Shop nutzten, und brachte bereits einen starken, reichweitenstarken TikTok-Account mit. Doch der Erfolg blieb aus. Die Verkaufszahlen im Shop sind verschwindend gering – was bei chinesischen Plattformen transparent ist, da die Abverkaufszahlen öffentlich im Shop sichtbar sind. Der Grund ist simpel: Es gab keine Content-Anpassung seit der Eröffnung des Shops. Der reine Product-First-Ansatz funktioniert nicht.
Ein vielversprechender Weg wäre eine TikTok-Shop-Entertainment-Strategie, die gemeinsam mit Creatorn entwickelt wird. Creator kennen ihre Community genau – deren Humor, deren Vorlieben, deren Trends. Sie wissen, was viral geht und was gar nicht funktioniert. In den USA zeigen Zahlen, dass viele TikTok Shops ihren Hauptumsatz über Creator-Kooperationen generieren. Diese Zusammenarbeit ist auf TikTok besonders einfach: Creator können sich selbst Produkte aussuchen, die sie bewerben möchten, und über das System direkt Partnerschaften anfragen. Das macht die Abläufe für beide Seiten deutlich schneller und unkomplizierter als beim klassischen Influencer-Marketing, wie es etwa bei Instagram üblich ist.
Allerdings darf man die Risiken nicht ignorieren. TikTok ist ein chinesisches Unternehmen, und die Algorithmen sowie deren Entwicklung liegen in Peking. Fakt ist: Unternehmen in China sind gesetzlich verpflichtet, auf behördliche Anordnung Daten herauszugeben. Ob und wie oft das tatsächlich geschieht, ist unklar. Doch allein diese Unklarheit sorgt für Unsicherheit. Hinzu kommen offene Fragen beim Jugendschutz – wie geht die Plattform mit sensiblen Inhalten um, welche Mechanismen greifen bei sehr jungen Nutzer:innen? – sowie geopolitische Bedenken wie eine mögliche Einflussnahme auf demokratische Wahlen liegen auf der Hand. All das macht TikTok zu einer Plattform mit großem Potenzial, aber eben auch mit nicht zu unterschätzenden Risiken.
Relevanz für Buchhandlungen und Verlage: BookTok als Trumpf
Für die Buchbranche bietet TikTok jedoch eine besondere Ausgangslage: BookTok. Unter diesem Hashtag hat sich in den vergangenen Jahren eine riesige Bewegung entwickelt, die die Gen Z wieder zum Lesen gebracht hat. Junge Menschen tauschen sich über Bücher aus, teilen emotionale Reaktionen, inszenieren Buchtipps und schaffen virale Trends, die ganze Bestseller-Listen beeinflussen.
Genau hier liegt die Chance für Buchhandlungen und Verlage: Sie müssen nicht bei null anfangen, sondern können auf ein bereits aktives, engagiertes Publikum aufbauen. Eine kluge TikTok-Shop-Strategie, die BookTok-Mechaniken versteht und mit Creator-Kooperationen kombiniert, könnte den Buchverkauf direkt über TikTok massiv ankurbeln.
Die ersten Zahlen zum TikTok Shop in Deutschland zeigen, dass die Plattform zwar noch in den Kinderschuhen steckt, aber Potenzial hat: Innerhalb der ersten zwei Monate nach dem Start kannten bereits 34 % der Konsument:innen das Feature, auch wenn nur 2,5 % es bisher genutzt hatten. Besonders in der Gruppe der 18- bis 39-Jährigen ist die Akzeptanz höher – und genau das sind Zielgruppen, die für die Buchbranche strategisch relevant sind.
Für Buchhandlungen und Verlage bedeutet das: Jetzt ist der Moment, um zu experimentieren, Strukturen aufzubauen und frühzeitig eine eigene Strategie zu entwickeln. Wer den TikTok Shop ernst nimmt, Entertainment-Formate ausprobiert und die Zusammenarbeit mit Creatorn professionalisiert, kann sich in einem neuen Vertriebskanal eine starke Position sichern.
TikTok Shop ist ein weiteres Mosaikstück in einem größeren Trend im Handel: die Entertainmentisierung der Branche. Storytelling, Erlebnis und Unterhaltung als Konsumeinstieg ist schon länger zu beobachten. Dieser neue Kanal befeuert diesen Trend und sorgt gerade bei jüngeren Zielgruppen für eine neue Erwartungshaltung gegenüber dem Handel. Der TikTok Shop wird also sehr wahrscheinlich das Konsumverhalten in der Zukunft beeinflussen - 24 Millionen Nutzer:innen in Deutschland sprechen da für sich.
Zum neuen Service des Börsenblatts für Ihr BookTok-Marketing: #BookTok | MVB – Wir bringen Bücher ins Ziel.
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Dank BookTok zum Bestseller?
Über die Autorin
Marilyn Repp ist Handelsexpertin, Speakerin und Gründerin der Community Building Company. Als Thought Leader für Retail Innovation analysiert sie Trends, Technologien und neue Geschäftsmodelle im Handel und zeigt, wie Händler:innen Zukunftsthemen erfolgreich in die Praxis bringen können.