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Barrierefreiheit

Leitfaden EPUB3-E-Books

Eine Handreichung der Arbeitsgruppe EPUB in der Taskforce Barrierefreiheit des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e. V.

Autor*innen: Fabian Kern, Dana Minnemann, Diana Moldovan, Manfred Muchenberger, Julia Schengber, Carsten Schwab, Alexander Tschersich,
IG Digital,
Deutsches Zentrum für barrierefreies Lesen (dzb lesen),
SBS Schweizerische Bibliothek für Blinde, Seh- und Lesebehinderte.

Version: 2.0 – April 2025 – bearbeitet von Hannes Frisch, Paul Gilius, Andrea Jäger, Fabian Kern, Ulla Materne, Manfred Muchenberger, Julia Schengber, Monika Wintjes

Webinar barrierefreie EPUB3-E-Books

Aufzeichnung des Webinars vom 22. Februar 2022

Einleitung

Dieser Leitfaden wurde verfasst, um bei der Erstellung bzw. Bearbeitung barrierefreier E-Books Klarheit und Abhilfe zu schaffen. Dabei werden Anforderungen abgebildet, die sich aus den Web Content Accessibility Guidelines 2.2, Konformitätsstufe AA (WCAG 2.2, AA) sowie den EPUB Accessibility 1.1 Spezifikationen ergeben. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verweist zwar bereits auf die EN 301 549 (und somit auf die WCAG) und die technischen Spezifikationen, jedoch sind die genannten Dokumente noch nicht als juristisch verbindliche Grundlage für die technische Umsetzung barrierefreier E-Books festgelegt worden. Wir möchten daher an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass der vorliegende Leitfaden als Orientierungshilfe für die barrierefreie Gestaltung von E-Books zu verstehen ist. Alle Aussagen in diesem Leitfaden stellen Empfehlungen dar und beruhen auf Erfahrungswerten. Eine Verpflichtung, diese Empfehlungen in der beschriebenen Weise umzusetzen, besteht momentan nicht.

Der Leitfaden beschreibt zunächst die Zielgruppen barrierefreier E-Books und ihre Bedürfnisse. Anschließend werden in niedrigschwelliger Form die neuralgischen Punkte von barrierefreien Publikationen adressiert. Im Teil „Barrierefreie EPUB-Dateien in der Praxis“ werden in Kombination mit Code-Beispielen technische Umsetzungen beschrieben. Eine Übersicht von Links, Ressourcen und Tools rundet diesen Leitfaden ab.
Um die konkreten Probleme und Lösungen für die einzelnen Anwendungsfälle zu definieren, ist es im ersten Schritt notwendig, die Zielgruppen zu beschreiben, die mit digitalen Büchern in Berührung kommen.

Die Annahme, dass Barrierefreiheit in digitalen Dokumenten nur für Menschen mit Behinderung oder im fortgeschrittenen Alter notwendig ist, ist weit verbreitet. Allerdings entstehen gerade bei der Entwicklung von digitalen Publikationen unbewusst Barrieren, die auch Benutzer*innen ohne körperliches Handicap betreffen können und damit „situativ behindert“ machen.

Die wohl prominenteste Gruppe stellen die blinden und sehbehinderten Menschen dar, die keine bzw. kaum visuelle Inhalte wahrnehmen können. In der Realität existieren jedoch weitaus mehr Personenkreise, die von barrierefreien Dokumenten profitieren können. Barrierefreie Publikationen sind oft auch bessere Dokumente für alle Leser*innen, obwohl bei der Erstellung der Anforderungen nur auf einen kleinen Teil der Nutzer*innen besondere Rücksicht genommen wurde.

Auch Menschen, die keine offensichtliche Behinderung bzw. Beeinträchtigung haben, können ebenso von optimierten digitalen Produkten profitieren. Deshalb ist es sinnvoll, wenn Entwickler*innen und Designer*innen sich bereits vor der Erstellung eines E-Books die Frage stellen, wie das Produkt optimiert werden kann, um allen Benutzer*innen eine vereinfachte Bedienbarkeit und Nutzung zu ermöglichen. Dies hat zur Folge, dass mehr potenzielle Nutzer*innen erreicht bzw. bedient werden können und sich somit ein höheres Umsatzpotenzial ergeben kann.

Arten von Einschränkungen

Je nach Einschränkung werden unterschiedliche Anforderungen an die Zugänglichkeit von E-Books sowie deren Inhalte und Aufbereitung gestellt. Dabei gibt es fünf verschiedene Arten der Nutzung von Inhalten: Wahrnehmung, Orientierung, Navigation, Steuerung und Eingabe. Die verschiedenen Einschränkungen lassen sich grob in folgende Kategorien unterteilen:

  • Akustische Einschränkungen liegen meist durch eine stärker werdende Taubheit im Laufe des Alters oder bereits von Geburt an vor. Ebenso können laute Umgebungsgeräusche wie Straßenlärm, Menschenmengen oder Musik das Hörvermögen beeinflussen und eine uneingeschränkte Wahrnehmung von Inhalten verhindern. Diese Barriere lässt sich am besten durch Untertitel bei Videoinhalten oder das Nutzen von Kopfhörern auflösen.
  • Visuelle Barrieren können durch eine Vielzahl von Problemen entstehen. Einerseits durch schlechte Lichtverhältnisse, wie Sonneneinstrahlung oder zu geringe Beleuchtung des Bildschirms. Andererseits aber auch aufgrund von Müdigkeit, abnehmender Sehstärke im Alter, kontrastarmen Inhalten, zu kleiner Schrift oder durch andere Arten von Seheinschränkungen oder Blindheit. Um diese Barrieren zu umgehen, sollten beispielsweise kontrastreiche Farben eingesetzt werden und die Skalierbarkeit von Schriften und alternative Wege der Informationsaufnahme (z. B. Alternativtext bei Bildern) ermöglicht werden.
  • Motorische Einschränkungen können aufgrund von zitternden Händen durch Krankheiten (Tremor, Parkinson, …) oder Platzmangel (Enge in öffentlichen Verkehrsmitteln) entstehen und die Navigation durch Dokumente erschweren. Hier sollte eine alternative Bedienung und durchstrukturierte Navigation Priorität haben. Klein gehaltene Elemente zielgenau anzuwählen, stellt für einen Tremor-betroffenen Menschen auf Smartphone-Displays eine große Hürde dar.
  • Bei der uneingeschränkten Nutzung von Inhalten sollte ebenso auf Menschen mit Sprach- oder Lesebehinderungen eingegangen werden. Menschen, die an Dyslexie oder Analphabetismus leiden, benötigen eine andere Schriftart oder Bilder, die den Text ergänzen. Um die Leseerfahrung von Legastheniker*innen zu erleichtern, ist auf den meisten E-Book-Reader bereits die Schriftart „Open Dyslexic“ vorinstalliert. Bei dieser Schriftart ist die untere Buchstabenhälfte etwas dicker und dunkler als der Rest des Schriftbildes. Dadurch können die einzelnen Zeichen besser erkannt und unterschieden werden.
  • Unabhängig von den Einschränkungen der Konsumierenden können auch die Geräte selbst ein Problem sein. Veraltete und nicht mehr unterstützte Software oder geringe Auflösung können große Barrieren für die uneingeschränkte Nutzung sein. Hier sollte auf eine laufende Aktualisierung der Software geachtet und nach Bedarf auf neuere, besser ausgestattete Geräte gewechselt werden.

Zielgruppen und Nutzerbedürfnisse

Aus den oben erwähnten Einschränkungen lassen sich bereits grob Zielgruppen ableiten. In der folgenden Tabelle sind die eingeschränkten Nutzer*innen weiter differenziert und die jeweiligen Bedürfnisse bei barrierefreien E-Books aufgezählt. Da die Nutzungsbedürfnisse nicht für jede Zielgruppe gleich sind, sollte immer mitbedacht werden, von welchen Personengruppen das E-Book genutzt wird.

Zielgruppe

Bedürfnis der Nutzer*innen

Alle Nutzer*innen

  • Dynamisches EPUB-Layout und Möglichkeit zur Anpassung von Schriftgrößen und anderen Darstellungsmerkmalen

Menschen mit Autismus

  • Dynamisches EPUB-Layout und Möglichkeit zur Anpassung von Schriftgrößen und anderen Darstellungsmerkmalen
  • Einfache und konsistente Layouts

Blinde und sehbehinderte Menschen

  • Screenreader-freundliches Tagging und semantische Auszeichnung der enthaltenen HTML-Dateien
  • Inhaltlich korrekte und klar definierte, lineare Lesereihenfolge
  • Alternativ-Inhalte für Bilder und andere visuelle Inhalte
  • Nutzung aller Navigationsmöglichkeiten in EPUB
  • Möglichkeit für paralleles Lesen und Hören über Vorlesefunktion

Menschen mit Farbblindheit / Farbfehlsichtigkeit

  • Ausreichender Farbkontrast in Text-Layout und visuellen Inhalten
  • Vermeidung von Farbigkeit als einzigem inhaltlichen Indikator im Content

Taube und Schwerhörige

  • Alternativ-Inhalte für Audio- und Video-Content

Menschen mit Dyslexie / Dyskalkulie

  • Dynamisches EPUB-Layout und Möglichkeit zur Anpassung von Schriftgrößen und anderen Darstellungsmerkmalen
  • Einstellmöglichkeit für auf Dyslexie optimierte Fonts
    (z. B. „Open Dyslexic“)
  • Inhaltlich korrekte und klar definierte, lineare Lesereihenfolge
  • Möglichkeit für paralleles Lesen und Hören über Vorlesefunktion

Menschen mit Epilepsie

 

  • Vermeidung von Blitz-Effekten und schnellen Bewegungen in Video-Content
  • Vermeidung von abrupten Lautstärkesprüngen in Audio-Content
  • Warnungen vor potenziell gefährlichen Inhalten

Menschen mit Sehschwäche

  • Dynamisches EPUB-Layout und Möglichkeit zur Anpassung von Schriftgrößen und anderen Darstellungsmerkmalen

Menschen mit körperlichen oder motorischen Einschränkungen

  • Dynamisches EPUB-Layout und Möglichkeit zur Anpassung von Schriftgrößen und anderen Darstellungsmerkmalen

Viele der Features und Funktionen, die für barrierefreie Content-Nutzung notwendig sind, werden von EPUB-Readern, Screenreadern und anderen assistiven Anwendungen bereitgestellt. Damit diese Funktionen aber ausgeführt werden können und der Content zugänglich wird, müssen wir bei der Erstellung von EPUB-E-Books die dazu notwendigen Konventionen beachten und entsprechende Datenstrukturen bereitstellen. Leider ist selbst dann noch nicht sichergestellt, dass die Werke wirklich nutzbar sind, da einige der vorhandenen Hilfstechnologien bei E-Books immer noch nur unzureichend funktionieren. Es ist jedoch anzunehmen, dass die im European Accessibility Act festgelegten Bestimmungen zu einer Verbesserung der assistiven Technologien führen werden und somit das technisch angelegte Potenzial barrierefreier E-Books künftig besser genutzt werden kann.