Die Zukunft ist schneller da, als Du denkst
Der digitale Wandel beschleunigt sich exponentiell. Warum ist das so und was bedeutet das für Ihre eigene Arbeit? | Ein Beitrag von Hermann Eckel, Sprecher der IG Digital & Inhaber der Unternehmensberatung connect2act
Erstellt am 20.11.2023
1991 startete das World Wide Web. Bis 1998 waren darin gerade einmal 10% der Deutschen unterwegs, fünf Jahre später immerhin schon 50% und im Jahr 2022 schließlich 95%, also fast alle. Inzwischen sind wir permanent online, chatten, schicken Dateien hin und her, scrollen uns durch Social-Media-Feeds, streamen Audio- oder Videodateien, lesen Online-News oder E-Books, sitzen in Videokonferenzen oder arbeiten gemeinsam an Cloud-basierten Dateien – in einem Ausmaß und einer Geschwindigkeit, von der man in den 1990er Jahren noch nicht mal träumen konnte.
Innerhalb nur einer Generation sind die globale Vernetzung und die sich dadurch eröffnenden digitalen Möglichkeiten zum festen Bestandteil unseres Daseins geworden. Die Zahl der Online-Shops, Apps und sonstiger digitaler Angebote ist schier unüberschaubar geworden und wächst ungebremst weiter. 2016 betrat TikTok die digitale Bühne und erreichte in nur drei Jahren weltweit eine Milliarde Nutzer*innen – Facebook hatte dafür noch zwölf Jahre benötigt. Der digitale Wandel beschleunigt sich immer mehr, erreicht immer weitere Verästelungen unseres (Arbeits-)Lebens und stellt damit immer mehr etablierte Geschäftsmodelle infrage oder macht sie komplett obsolet.
Eine schnelllebige Zeit
Alle, die nicht zu den Digital Natives gehören, haben den – durchaus korrekten – Eindruck, in einer Zeit zu leben, in der sich so schnell so viel verändert hat wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Die exponentielle Beschleunigung der technologischen Entwicklung, die wir in den vergangenen 20-30 Jahren tatsächlich erlebt haben, ist jedoch nichts im Vergleich zu dem, was uns in den kommenden Jahrzehnten erwartet. Oder, wie es Justin Trudeau 2018 ausdrückte: „Das Tempo des Wandels war noch nie so schnell. Und dennoch wird es nie mehr so langsam sein.“ Woran liegt das?
Die drei Gesetzmäßigkeiten digitaler Transformation
Die bisherige exponentielle Beschleunigung der digitalen Transformation haben vor allem drei Gesetzmäßigkeiten geprägt:
- Die Verdoppelung der Komplexität der Schaltkreise von Microchips ca. alle 18 Monate („Moore‘s Law“).
- Die linear sinkenden Kosten bei jeder Verdoppelung der Menge der produzierten Erzeugnisse – Microchips werden nicht nur beständig leistungsfähiger, sondern zugleich immer günstiger („Wright’s Law“).
- Das Gesetz des sich beschleunigenden Nutzens, d.h. die exponentielle Zunahme von Qualität wie Quantität technischer Errungenschaften und des zugrunde liegenden Wissens („Kurzweil’s Law“): Jede Forschergeneration kann auf dem Wissen der voran gegangenen Generationen aufbauen – und im digitalen Zeitalter gar auf parallel stattfindender Forschung (siehe die vielen wissenschaftlichen Preprints zur Corona-Pandemie). Ein Blick auf die Zahl der jährlich vergebenen Doktortitel macht das leicht anschaulich: Von 1915 bis 1970 stieg diese von wenigen Hundert auf ca. 50.000, während 2010 bereits ca. 160.000 Doktortitel verliehen wurden, nicht zuletzt dank Chinas Einstieg in den globalen Forschungswettlauf seit den 1970er Jahren.
Und… Turbo!
Nun kommen aber noch zwei zusätzliche Turbobeschleuniger ins Spiel:
- Als selbst lernende Systeme entwickeln sich Künstliche Intelligenzen (KI) schneller weiter, als Menschen es je könnten. Man denke nur daran, in welch kurzer Zeit Googles Supercomputer AlphaGo so weit war, den besten menschlichen Profi-Spieler in Go zu besiegen – und das war 2016! Inzwischen werden bei generativer KI fast täglich dramatische Fortschritte veröffentlicht, und die Entwicklung beschleunigt sich immer weiter. Nicht nur selbstfahrende Autos, sondern hoch individualisierte Krebsmittel scheinen dank KI bald in der Breite realisierbar.
- Im Gegensatz zu früheren industriellen Revolutionen – von der Erfindung der Dampfmaschine über die Elektrizität bis zur Einführung von Microchips –, die von der Entwicklung einer einzigen Kerntechnologie vorangetrieben wurden, haben wir es aktuell mit der gleichzeitigen Entwicklung gleich mehrerer Technologien zu tun, u.a.:
- Netzwerktechnologie (5G / Cloud-Computing / Internet der Dinge)
- Robotik & Sensorik
- Künstliche Intelligenz
- Blockchain / Smart Contracts / NFTs
- Gentechnologie & Synthetische Biologie
- Quanten-Computing
Schon für sich genommen, entwickelt sich jede dieser Technologien exponentiell weiter. Zusätzlich befruchten sie sich aber gegenseitig und beschleunigen sich so noch wechselseitig. Exponentielles Wachstum on Steroids.
Der Aufstieg künstlicher Intelligenz
Nirgends ist die exponentielle Beschleunigung besser zu beobachten als im Bereich der Künstlichen Intelligenz, wo wir zur Zeit die bislang dynamischste und umfassendste Disruption erleben: Für die breite Masse Ende 2022 wie aus dem Nichts erschienen, eröffnet generative KI à la ChatGPT, DALL-E, Midjourney, Stable Diffusion & Co. auch für die Buchbranche schon jetzt erstaunliche Möglichkeiten zur Optimierung und Automatisierung ganzer Prozessketten und zur Generierung von Medieninhalten, etwa mit Blick auf:
- Anreichern von Metadaten, etwa Zuordnung von Texten zu Lesemotiven
- Produktion von Marketingtexten für verschiedenste Social-Media-Kanäle und andere Werbezwecke
- Bildrecherche, -erkennung und -generierung (z.B. für Buchcover)
- Übersetzungen in verschiedenste Sprachen (z.B. mittels DeepL)
- Produktion von Hörbüchern mittels Text-to-Speech
- Generieren von Graphic Novels oder kompletter fiktionaler Texte (v.a. im Genre-Bereich)
- Erstellen von Grafiken oder PowerPoint-Präsentationen auf der Grundlage von Datenreihen oder Textinformationen (z.B. mithilfe von Microsofts Copilot)
- Transkription von Videokonferenzen und Erstellen von Protokollen
- Ermitteln optimaler Prozesse in komplexen Abläufen
- Software-Programmierung und und und …
All dies wirft natürlich große Fragen zu Kreativität, Urheberrecht oder Datenschutz auf, die auf einem anderen Blatt stehen. Schon deshalb aber müssen wir alle uns mit aktuellen Technologien und besonders mit KI so weit auskennen, dass wir sie kritisch beleuchten und sinnvoll einsetzen können. Denn KI ist genauso wenig ein Hype wie „dieses Internet“. Wir stehen erst am Anfang einer umwälzenden Entwicklung, die unsere Art des Arbeitens komplett umkrempeln wird. Oder, wie Sascha Lobo es ausdrückte: „Alles, was die KI nicht kann, kann sie noch nicht“ (Spiegel Online vom 21.03.2023).
Lektüre-Tipps:
- Peter H. Diamandis & Steven Kotler: The Future is Faster than You Think. How Converging Technologies are Transforming Business, Industries, and Our Lives (Simon & Schuster 2020)
- Frank Thelen & Markus Schorn: 10xDNA. Das Mindset der Zukunft (Frank Thelen Media 2020)
