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Medienlese(n): Luna Al-Mousli »Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen oder Der Islam und ich«

Eine Kindheit zwischen dem Ruf des Muezzins und den neuesten Hits von Britney Spears – Marie-Theres Stickel (Büchergilde Gutenberg) rezensiert für Euch Luna Al-Mouslis Erzählung »Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen oder Der Islam und ich«.
Erstellt am 22.07.2021


Rezension von Marie-Theres Stickel

Wie bereits in ihrem preisgekrönten Debüt »Eine Träne. Ein Lächeln« beschreibt Luna Al-Mousli auch in »Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen oder Der Islam und ich« ihre Kindheitserfahrungen zwischen der östlichen und der westlichen Welt – zwischen dem Ruf des Muezzins und den neuesten Hits von Britney Spears. Viele heutige Leser:innen werden Syrien vor allem mit einem krisenerschütterten, vom langjährigen Krieg gezeichneten Land assoziieren. Doch wer dieses Buch gelesen hat, wird Syrien noch einmal mit den Augen eines Kindes sehen und ein anderes Land kennenlernen, dessen Alltagswelten denen „bei uns“ überraschend nahestehen – in einer Zeit vor dem Elend des Krieges.

Luna Al-Mousli, 1990 in Österreich geboren, wuchs in Syrien auf und emigrierte als 14-jährige nach Wien. In »Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen« tritt sie als Protagonistin in Erscheinung und stellt sich, ihre Lebensgeschichte und ihre persönlichen Erfahrungen ganz in den Dienst des Buches. Sie nimmt die Lesenden mit nach Syrien, direkt in ihre Großfamilie nach Damaskus. Dort tobt das bunte, syrische Alltagsleben und Luna eröffnet lustige, manchmal auch nachdenkliche Einblicke in ihre Kindheit. Am zahlreichsten sind hier die Anekdoten aus dem turbulenten Familienleben mit den vielen Tanten, die alle verheiratet werden sollen, mit den Dutzenden Cousinen und Cousins, zu denen Luna tiefe Freundschaften pflegt und mit denen sie allerhand Unfug anstellt, und natürlich mit Modi, dem Hauspapagei, der so religiös ist, dass er den Gebetsruf des Muezzins perfekt imitiert. Und Luna bewundert ihre Großeltern – diejenigen, die in Damaskus leben genauso wie jene, die nun in Wien zu Hause sind. Sie erzählen der kleinen Luna ihre eigenen Geschichten und die erkennt schon damals: „Genauso wollte ich auch einmal Geschichten erzählen können. Das wusste ich schon in diesem Moment, als ich auf dem Wohnzimmerteppich saß.“

Und Luna erzählt. Spielerisch entfaltet sich im gesamten Buch ein die Lektüre prägendes interkulturelles Moment. Insbesondere die zwei Großmütter, Oma Habiba in Damaskus und Oma Hayat in Wien, geben »Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen« diesen wichtigen interkulturellen Rahmen. So überlegt Luna beispielsweise, warum die Muezzins der syrischen Moscheen nicht auch einmal bei einem TV-Song-Contest vorsängen – dann würde sich immerhin auch ihre Oma Habiba dafür interessieren und nicht immer umschalten. Und Luna liebt die Haribo-Goldbären: „Wenn Oma Hayat im Sommer aus Wien nach Damaskus kam, brachte sie uns immer ein Stück Österreich mit.“ In Wien jedoch wird sie später von einer nicht-muslimischen Mitschülerin belehrt, dass die Goldbären doch gar nicht halāl seien. Irritiert formuliert sie eine sanfte Kritik und zitiert ihre Mutter, die bei überkorrekten Diskussionen, gerade wenn es um Religion ging, zu sagen pflegte: „Wir sollten den Blick für das Wesentliche nicht verlieren.“ Es sind diese deskriptiven Pausen in Luna Al-Mouslis Buch, die es so lesenswert machen. Denn diese ‘narration ultérieure‘, die nachträgliche Bewertung der vermeintlich kindlich-naiv erscheinenden Überlegungen, führt die Leser:innen und lässt sie tief in die interkulturelle Lebenswelt von »Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen« eintauchen.

Vom religiösen Leben im Islam in Syrien weiß Luna auch einiges zu erzählen. Es ist urkomisch, wenn sie von den syrischen Sommern im Landhaus berichtet, in denen die Cousins und Cousinen zur Gebetswaschung einfach in den Pool springen und mit nassen Badehosen unter den Gebetsgewändern beten. Doch auch in diesem religiösen Kontext bleiben die lustig erscheinenden kindlichen Überlegungen nicht für sich stehen, sondern öffnen Raum für kritische Kommentare, die dem Buch seine feine Würze geben. So findet es Luna absurd, dass nicht Menschen jedweder Konfession nach Mekka reisen dürfen – nachdem laut Überlieferung bereits Abraham, Isamel, der Engel Gabriel und Mohammed dort gewesen sein sollen. Subtil äußert sie Kritik und fragt sich, ob die Personen, die die Kaaba heute erreichen, vorher Gebetssuren aus dem Koran auswendig rezitiert oder einen Religionstest mit Multiple-Choice-Fragen absolviert haben müssen. Den humorvollen Unterton bewahrend fragt sich Luna auch, warum Oma Habiba ausgerechnet für ihre Mekka-Reise einen männlichen Begleiter mitnehmen muss. Schließlich dürfe sie ja doch auch in andere Länder alleine reisen und überhaupt, „Opa wäre im Ausland ohne sie viel aufgeschmissener gewesen“... 

Sprudelnd wie das aus Mekka mitgebrachte Wunder-Zamzam-Wasser sind Lunas Erinnerungen an den Ramadan in Damaskus. Ihre Erzählungen vom Iftār in Syrien, dem Fastenbrechen, lassen das Familienleben und die Kulinarik der Kindheit lebendig werden: der Speiseraum gefüllt mit Olivenöl-Kanistern, mit Nüssen, Orangen, Zwiebeln, Tomaten, Gurken, Bulgur und natürlich mit Datteln; das gemeinsame Essen, der nicht enden wollende Besuch zahlreicher Verwandte, das gemeinsame Kartenspiel und das Schwarztee-mit-Minze-Trinken und natürlich das gemeinsame Beten – Familienzeit durch und durch.

Doch diese wertvolle gemeinsame Zeit kann heute für viele syrische Familien nicht mehr zum Alltag dazugehören, da sie auf der ganzen Welt verstreut leben (müssen). „Mittlerweile können wir nicht mehr unmittelbar am Leben der anderen teilnehmen. Früher bekamen wir alles mit. Zufällige Begegnungen, kommende Herausforderungen, unausgesprochene Ängste, tiefe Freude. Auch Kleinigkeiten wie Geschichten über verschwundene Socken, blühende Pflanzen und tropfende Wasserhähne wurden geteilt. Heute kann so eine Zusammenkunft eigentlich nur stattfinden, wenn wir alle gleichzeitig vor dem Computer sitzen und skypen. Dafür müsste allerdings bei allen das Internet funktionieren, was nahezu nie der Fall ist.“ Als Protagonistin ihrer Lebensgeschichte führt Luna Al-Mousli den Lesenden eindringlich das Schicksal geflüchteter Menschen vor Augen. Sie, die mit ihren Geschwistern, Cousinen und Cousins geplant hatte, einmal gemeinsam ein großes, mehrstöckiges Haus in Syrien zu besitzen, mit einem Garten, in dem sie Zitronen- und Olivenbäume anpflanzen wollten. „Doch manche Pläne gehen einfach nicht auf, sie bleiben Träume.“

Am Ende aber bleibt »Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen« ein Text, der eine große Lebensfreude ausstrahlt, auch verstärkt durch Luna Al-Mouslis eigene Illustrationen, die liebevoll in dem weiß-türkisen Halbleinenband eingebettet sind. Die Autorin, die studierte Grafik-Designerin ist, gibt ihrem Buch schließlich noch eine ganz besondere Rahmung: Auf der letzten Doppelseite des Bandes flicht sie all Ihre Zeichnungen zu einem wunderschönen Teppich. Im Zusammenspiel mit den rund 145 Seiten Text entsteht so ein eindrückliches Bild, das die große Vielfalt des Islam beschreibt. Über den Teppich hinwegschreitend entlässt Luna Al-Mousli die Lesenden aus ihrem Buch. »Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen« ist ihr eigener, geschriebener und gemalter Lebensteppich, in dem sie eindrucksvoll ihre Kindheitserfahrungen zwischen Ost und West verwebt.

Luna Al-Mousli »Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen oder Der Islam und ich«, Erzählung, weissbooks.w, Oktober 2018, 144 Seiten,  15,- €


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