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Blogbeitrag Nachwuchsblog

Wie viel Buch verträgt die Welt?

Ein Essay von Sarah Weiß zum Nachhaltigkeits-November, einer Initiative des [ˈnaːxvuːks]blogs.
Erstellt am 25.11.2021


Essay von Sarah Weiß

Wie viel Buch verträgt die Welt? Eine schmerzhafte Frage, die das Tun unserer ganzen Branche in Frage stellt und vor der jede einzelne Publikation gerechtfertigt werden muss. Doch angesichts der Aussichten auf unsere nahe und ferne Zukunft in jedem Fall eine gute Frage, um aus einer radikaleren Perspektive über Nachhaltigkeit in der Buchbranche nachzudenken. Nicht nur, aber auch im ökologischen Sinne.

Der nachhaltige Umgang mit unseren ökologischen Ressourcen ist die große Herausforderung unserer Zeit, für die Kunst und Kultur geeignete Orte sein können, um eine zielführende Diskussion über Strategien und Wege aus der Krise zu führen.

Wir Buchmenschen sitzen an der Quelle. Unsere Bücher liefern das notwendige Wissen für eine nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, sie beinhalten alle relevanten Fakten – wir müssen nur auf sie zurückgreifen. Aber nicht nur im Sach- und Fachbuch liefern unsere Bücher die Basis für ein Umdenken. Auch die Belletristik kann Wegbereiter sein für eine Lebenskunst der Nachhaltigkeit, in der Literatur als Erfahrungsraum für notwendige Entwicklungen dienen kann: Sie fungiert als Ideengeber, zeichnet Utopien und Dystopien und macht Erlebnisse, Entscheidungen und ihre Konsequenzen erfahrbar. Gleichzeitig bietet sie den Raum, um sich in die (Um-)Welt einzufühlen, um die es geht – und die nicht zuletzt auf dem Spiel steht. Da wundert es nicht, wenn Nature Writing und ökologisches Sachbuch immer mehr in den Fokus der Verlagsprogramme rücken.

Ideen für den Wandel gibt es viele: Umweltschonendere Druckprozesse, kürzere Transportwege, weniger Makulaturen. Der sich auf Nachhaltigkeit beziehende Inhalt soll mit der Ausstattung des Buches Hand in Hand gehen. Durch steuerliche Stellschrauben und an Nachhaltigkeitskriterien gebundene Förderungen ließen sich die Freiheiten in der optischen und haptischen Gestaltung einschränken und mit einem reduzierten ökologischen Fußabdruck harmonisieren.

Gelungene Beispiele gibt es schon bereits. Aber ist es angesichts unserer Fragestellung noch zeitgemäß, Leuchtturmprojekte beispielhaft herauszuheben oder braucht es nicht schon längst radikalere Ansätze, weil wir angesichts der Lage auf unserem Planeten über den Inspirationsstatus bereits lange hinaus sein müssten?

Und bei all den ökologisch bedingten Veränderungen muss die Branche auch im wirtschaftlichen Sinne erhalten bleiben können – oder? Sind Verlage noch länger als unabhängige Wirtschaftsbetriebe denkbar? Oder müssen wir anerkennen, dass ein Kulturgut wie das Buch, in dem so viel gedankliche Arbeit steckt, das so viel mehr ist als das Material, auf dem es gedruckt wird, das auch so viel mehr Zeit für seinen Konsum in Anspruch nimmt, als der kurze Moment der Kaufhandlung, dass dieses Buch sich nicht der endlosen Beschleunigung und dem Wachstumsdiktum unterwerfen lässt, das unser Wirtschaftssystem fordert? Während Subventionen von Kunst und Kultur in anderen Branchen gang und gäbe sind, versucht die Buchbranche nach wie vor (im weitesten Sinne) auf eigenen Beinen zu stehen und muss ihre Produkte somit auch in erster Linie rentabel anlegen und nicht zwingend ökologisch.

Was bliebe also, um die inhaltliche Qualität der Bücher weiterhin hochhalten zu können, ohne auf ökologische Fortschritte verzichten zu müssen? Das gleiche wie in allen anderen Lebensbereichen auch, ob wir nun an ‘Capsule Wardrobe’ denken oder an saisonale und regionale Ernährung: Weniger ist mehr. Wir müssen die Programme reduzieren, denn weniger Titel bedeuten weniger Ressourcenverbrauch. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist: Weniger Titel bedeuten weniger Arbeit für die meist sowieso deutlich überlasteten Mitarbeitenden.

Profitieren würden also nicht nur Umwelt und inhaltliche Qualität, sondern auch unsere Lebensqualität würde durch die Entschleunigung unseres Arbeitslebens steigen. Das Ergebnis: Mehr Zeit, um die Lebenskunst der Nachhaltigkeit, die wir in unseren Büchern entwickeln, in unserem Alltag zu etablieren, damit all die Publikationen über ‘Urban Gardening’, ‘Alternative Wohnkonzepte’ und ‘Zero Waste’ auch wirklich in der realen Umsetzung ihren Beitrag leisten können. Und wir überhaupt Zeit haben, um sie zu lesen – einem sehr umweltverträglichen Hobby im Vergleich zu vielen anderen.

Damit wir uns dann fragen können: Wie viel Buch braucht die Welt?

In Anlehnung an: Schneider, Wolfgang: "Nachhaltigkeit als kulturpolitischer Auftrag". In: Schneider, Wolfgang u.a. (Hrsg.): Jetzt in Zukunft. Zur Nachhaltigkeit in der Soziokultur. oekom, 2021

 

Dieser Blogpost erscheint im Rahmen des Nachhaltigkeits-Novembers, einer Initiative des [ˈnaːxvuːks]blogs.


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