Social-Media im Wandel? Ein Überblick
Auf der Suche nach neuen, relevanten oder vertrauenswürdigen digitalen Orten verlassen immer mehr Nutzer*innen Plattformen wie Facebook, Instagram oder X. Welche Alternativen sind für die Buchbranche relevant? | Ein Beitrag des Börsenvereins
Erstellt am 26.05.2025
Es sind schwierige Zeiten für Social-Media-User*innen, aus denen jedoch auch Vorteile entspringen können. Nach dem Kauf von Twitter durch Elon Musk und der Umbenennung in „X“ geriet auch Meta von Mark Zuckerberg in die Schlagzeilen. Meta möchte in Europa öffentliche Nutzerinhalte zur Schulung der unternehmenseigenen KI "Meta AI" verwenden. Die Widerspruchsfrist ist am 26. Mai 2025 abgelaufen. Auch die Lockerung der Moderationsrichtlinien und die (zunächst in den USA) abgeschaffte externe Faktenprüfung machten global Schlagzeilen. Zudem droht TikTok ein mögliches Verbot in den USA – was die App und ihren Einfluss nachhaltig verändern könnte. Immer mehr Nutzer*innen verlassen als Konsequenz ebendiese Plattformen.
Diese Umbrüche führen zu einer Fragmentierung der Social Media Landschaft und haben mehrere Folgen. Zum einen wird es für alle Creator*innen – und das schließt die Buchbranche ein: Verlage, Buchhandlungen, Bibliotheken, Leser*innen, Kritiker*innen, Medien und alle anderen Buch-verwandten Konten – schwieriger, ihre Zielgruppe zu erreichen. Je mehr Netzwerke relevant sind, desto mehr Accounts müssen auch bespielt werden, um die eigenen Inhalte möglichst breit zu streuen und möglichst viele Menschen zu erreichen. Gleichzeitig zerfällt dadurch aber die Monopolstellung von Meta, X und TikTok und somit bis zu einem gewissen Grad auch deren Macht und Einfluss.
Welche Möglichkeiten gibt es also, Leser*innen zu erreichen? Welche Plattformen sind geeignet und welche nicht? Hier bietet der Digitale Wissens-Hub des Börsenvereins einen Überblick – neben ausführlichen Artikeln, die wir zu Instagram, Facebook, TikTok und der Spezialisierung auf BookTok, Pinterest, Newsletter, Podcasts, LinkedIn, Discord und YouTube bereits haben.
Die Alternativen
Bluesky: Etwa parallel zu Musks Übernahme von Twitter gestartet, ist Bluesky nach einer längeren Betaphase seit Februar 2024 öffentlich für alle zugänglich. Auch durch Umbrüche in den USA (die erneute Wahl Trumps, Elon Musks Hitlergruß, weitere politische und technologische Veränderungen) verlassen immer mehr internationale User*innen X und finden auf Bluesky und teilweise auch auf Threads ein neues Zuhause. Bluesky hat sich inzwischen zu einer echten Alternative entwickelt, gerade im deutschsprachigen Raum: Während X trotz des Exodus international immer noch als relevanteste Microblogging-Plattform angesehen werden kann, findet auf Deutsch zumindest im Buch- und Medienbereich kaum noch etwas auf X statt, sowohl private User*innen als auch Einrichtungen haben ihre Accounts stillgelegt oder gelöscht. Im Dezember 2024 gab es rund 25 Millionen Konten auf Bluesky, nur wenige Monate später, im März 2025, waren es bereits 33 Millionen – ein enormer Zuwachs. Die meisten Bluesky-User*innen kommen in der Tat aus den USA, auf Platz 5 der Länder ist aber Deutschland (aktuell 3,21 % der Bluesky-Nutzer*innen). Nahezu alle Verlage, die früher auf X aktiv waren, haben jetzt Bluesky-Accounts, ebenso Einrichtungen wie die Frankfurter Buchmesse oder der Deutsche Buchpreis sowie einige Buchhandlungen und Büchereien.
Mastodon: Während Mastodon, das technisch zwar ein wenig anders funktioniert als Bluesky oder X, aber vom Prinzip ähnlich ist, sich nach dem Musk-Kauf zunächst eine Art Kopf-an-Kopf-Rennen mit Bluesky lieferte, lässt sich anhand der Aktivitäten eindeutig feststellen: Bluesky hat dieses Rennen gewonnen, Mastodon ist für die Buchbranche nicht (mehr) wirklich relevant.
Twitch: Das Livestreaming-Portal Twitch, 2011 gegründet und 2014 von Amazon übernommen, hat eine recht junge Zielgruppe: 73 % der User*innen sind 34 Jahre alt oder jünger, außerdem sind – zumindest in den USA, eine Zahl, die sich vermutlich global übertragen lässt – 63 % der Nutzer*innen männlich. Twitch wird vorrangig für die Übertragung von Videospielen benutzt oder von Menschen, die sich schlicht und ergreifend den ganzen Tag lang filmen. Der beliebteste deutschsprachige Twitch-Kanal ist von MontanaBlack, der sich primär mit Games beschäftigt, gefolgt von Trymacs, der ebenfalls Game-Content streamt. Es gibt auch ein paar „buchige“ Accounts wie etwa von der Spiegel-Bestsellerautorin Liza Grimm, die Fantasy-Bücher schreibt und auf Twitch über Games spricht oder zum Coworking einlädt, und von ebenfalls Fantasy-Autorin Nika Nylea, die über ihre Schreibprojekte informiert. Der Kanal Marmeladenoma, in dem die 90-Jährige regelmäßig Märchen vorliest und mit ihren Fans spricht, hat sogar 93.000 Follower*innen und zählt ebenso dazu, wie der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (von verdi), der zu Corona-Zeiten Lesungen streamte. Die geringen Aufrufzahlen (im niedrigen zweistelligen Bereich) des Verbands zeigen allerdings: So geeignet Twitch fürs Streamen technologisch sein mag, die Zielgruppe für die Buchbranche ist (noch) nicht auf der Plattform aktiv. Der Erfolg von Liza Grimm und der Marmeladenoma wiederum beweisen, dass es bei Twitch viel um parasoziale Bindung geht, also darum, die Creator*innen regelmäßig zu sehen und eine (einseitige) Beziehung zu ihnen aufzubauen. Einmalige Aktionen wie Lesungen sind entsprechend wenig produktiv, einzelne Autor*innen können sich aber langfristig eine Fanbase aufbauen, gerade wenn sie im Fantasy- oder Gaming-Bereich unterwegs sind.
Discord: Es ist wahrscheinlich wenig verwunderlich, dass es in einer Zeit, da die Besitzer großer Social-Media-Plattformen enttäuschen, Nostalgie für das „alte Internet“ existiert und parasoziale Beziehungen boomen, eine Rückkehr gibt zu einer Art von Social Media, die an die Foren der 2000er-Jahre erinnert. „Die Zukunft des Internets liegt wahrscheinlich in kleineren Communitys, mit einem Fokus auf kuratierten Erlebnissen” proklamierte die US-amerikanische Technologie-Website The Verge im Februar 2025 und steht mit dieser Einschätzung nicht alleine da. Das erklärt den Erfolg von Discord. Hatte die Kommunikations-App im Jahr 2021 noch 140 Millionen monatlich aktive User*innen, waren es 2023 schon 200 (und 560 Millionen registrierte Accounts). Grob gesagt folgt Discord besagter Foren-Struktur aus der Frühzeit des Internets: Ein Verlag, eine Leserin, eine Buchhandlung, ein Medienunternehmen kann einen eigenen Discord einrichten und dann Unterforen zu bestimmten Themen anlegen (YA-Romane, Frühjahrsnovitäten, Mediennews, Klatsch aus der Buchbranche…). Anders als bei zahllosen Follower*innen auf Instagram, die sehr disparate Interessen mitbringen, sind die Gruppen, die Discord-Server nutzen und sich gegenseitig Dinge empfehlen und aufeinander reagieren, bedeutend kleiner – eine Community eben, wie The Verge das sagt. Dazu passt, dass auch das Marketing die Macht von Mikroinfluencer*innen, also Influencer*innen mit einer geringeren Anzahl an Follower*innen, (wieder-)entdeckt. Gerade jetzt, da es immer schwieriger wird, KI-Inhalte und -Accounts von echten zu unterscheiden, zielt man, anstatt auf eine unübersichtliche Masse zu setzen, auf besser kuratierte und enger verknüpfte Zielgruppen mit Credibility. (Einen ausführlicheren Artikel des Digitalen Wissens-Hubs zu Discord finden Sie hier.)
Pixelfed: Pixelfed ist sozusagen eine Mischung aus Instagram und Mastodon; ein dezentralisiertes, quelloffenes Netzwerk (wie Mastodon), das auf Fotos und Videos setzt (wie Instagram). Und wie Instagram funktioniert auch Pixelfed nach Hashtags, Geo-Tagging (sprich Orte können getaggt werden) und Likes, es kann kommentiert und Content geteilt werden. Dennoch wird Pixelfed Instagram trotz politischer Änderungen voraussichtlich niemals auch nur annähernd Konkurrenz machen. Stand April 2025 gibt es unter dem Hashtag #buch nur 2.800 Posts, #bücher hat 2.100 und #buchmesse 483 Treffer. Im Vergleich: #buch hat bei Instagram 2.8 Millionen Posts, #bücher 3 Millionen und #buchmesse 140.000. Keine relevanten deutschsprachigen Verlags- oder sonstige Buchaccounts sind auf Pixelfed aktiv.
diaspora*: Auch diaspora* ist ein non-profit dezentrales Angebot, auf dem man sich wie bei anderen gängigen Social-Media-Plattformen mit Leuten „anfreunden“, Posts mit Hashtags versehen oder Accounts mit einem @ erwähnen kann. Ein Vorteil von diaspora* ist die Möglichkeit, problemlos Content von externen Providern wie WordPress, YouTube oder Tumblr zu integrieren. Allerdings: Während die Intentionen von diaspora* hehr sind – nämlich niemals einen Großkonzern die Kontrolle über die Plattform und seine User*innen erlangen zu lassen –, so ist das Medium bisher auch wenig erfolgreich: Nicht einmal eine Million Menschen weltweit nutzen diaspora*.
Beobachtet man das Aufkommen und Sterben von Social-Media-Netzwerken in den vergangenen zwanzig Jahren, lässt sich festhalten, dass sich alle im Wandel befinden, auch jede noch so große Plattform, und dass gleichzeitig viele sang- und klanglos wieder verschwinden, ohne jemals großen Einfluss gehabt zu haben. Derzeit sind für die deutschsprachige Öffentlichkeit und somit auch für die Buchbranche Instagram, Bluesky, TikTok, YouTube und teilweise noch Facebook die relevantesten sozialen Medien, die Giganten also. Da durch die vielen politischen und technologischen Disruptionen aber schwer vorhersehbar ist, wie lange diese Bestand haben werden und ob sich nicht doch noch andere Netzwerke durchsetzen, gilt als Faustregel: Auch wenig bespielte Plattformen können zukünftig an Relevanz gewinnen, Crossposting, sprich das Teilen eines Beitrags in mehreren sozialen Medien, ist entsprechend eine gute Idee, solange das mit wenig Aufwand (etwa durch Copy & Paste bei ähnlich aufgebauten Apps) machbar ist. Dadurch kann man sichergehen, als sogenannter Early Adopter bereits eine gewisse Followerschaft aufgebaut zu haben, sollte sich plötzlich ein anderes Medium etablieren.
Autorin: Isabella Caldart